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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Autoren: Lesley Downer
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nicht, ganz und gar nicht.«
    Fujino schaute gebannt zum Shiroyama hinüber, als könnte sie ihren Blick nicht losreißen. Ihr Gesicht war verhärmt.
    Sie wandte sich an Nobu. »Nun, wer hätte das gedacht«, sagte sie und versuchte zu lächeln. »Der junge Nobu. Aus dir ist ein Mann geworden.« Die Sonne hatte ihr Gesicht gebräunt, aber darunter war es aschfahl, nicht das schimmernde Weiß, wie es einst gewesen war, sondern bleich wie ein Geist. Sie sah verwelkt und erschöpft aus.
    Taka streichelte ihr den Arm. Sie befürchtete, ihre Mutter könnte zusammen mit ihrem geliebten Masa sterben, nicht durch die eigene Hand, sondern einfach dahinscheiden. »Iss etwas, Mutter«, mahnte sie.
    Die Kinder waren mit Wasserflaschen und gekochten Süßkartoffeln zurückgekommen, alles, was sie hatten finden können. Madame Kitaoka und die Samurai-Tanten, die beiden Geishas, Okatsu, Onkel Seppo, die jungen Männer in ihren zerfetzten Uniformen, selbst der Wächter setzten sich im Kreis auf den Boden, das Rattern des Gewehrfeuers dröhnend in den Ohren. Taka hatte das Gefühl, bei einer Totenwache zu sein, als wäre das Ende der Welt gekommen, und sie wären die einzigen Überlebenden.
    Sie versuchte zu essen, vermochte aber kaum zu schlucken. Sie konnte nur an ihren Vater denken, konnte die Vorstellung nicht ertragen, was auf dem gegenüberliegenden Berghang geschah.
    Doch während sie an den Tod dachte, konnte sie gleichzeitig nicht anders, als sich auf wunderliche, beglückende, freudige Art lebendig zu fühlen, lebendiger als je zuvor. Mit jedem Atemzug war sie sich Nobus Körper direkt neben ihr bewusst. Seine Nähe machte sie kribbelig. Verstohlen streckte sie das Bein aus und berührte seinen Fuß sanft mit dem ihren. Mehr wagte sie nicht in Anwesenheit von Madame Kitaoka und der anderen.
    Besorgt musterte sie sein Gesicht. Mit Bestürzung hatte sie seine hervorstechenden Rippen unter der Uniform gespürt, als sie sich umarmt hatten. Er hielt sich die Seite, als hätte er Schmerzen, und unter seinen Augen waren dunkle Blutergüsse.
    Er lächelte schief. »Nicht der Rede wert«, murmelte er.
    »Yoshida hat sich in unserem Lager als hart im Nehmen erwiesen«, sagte Kuninosuké. »Ein paar unserer Jungs waren ein bisschen übereifrig.«
    »Du hast also meinen Vater kennengelernt«, flüsterte Taka.
    »Mir wurde diese Ehre zuteil.«
    Takas Mutter beugte sich vor und rang die schmutzverkrusteten Hände. »Sah er gesund aus?«, fragte sie leise und blickte mit großen Augen zu ihm auf. »War er in guter Stimmung?« Sie hatte ihre prächtige Körperfülle verloren, doch ihre Stimme hatte immer noch diesen rauchigen Klang, der Takas Vater vor all den Jahren in Kyoto verzaubert hatte.
    »Als Letztes hat er von Ihnen gesprochen.« Nobu zögerte. Fujino senkte den Kopf und wischte sich mit dem Ärmel über die Wangen. Fliegen summten um die Essensreste, und der Wind wirbelte Asche auf. »Er sagte, wie schön Sie seien und wie er Sie vermisse. Und dann sagte er, dass er Angst um Sie habe … Sie könnten sich das Leben nehmen. Er wollte die Gewissheit haben, dass Sie am Leben bleiben. Als er das sagte, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich rannte, so schnell ich konnte. Kuninosuké kam mit mir, auf Befehl des Generals, um dafür zu sorgen, dass keiner seiner Männer auf mich schoss. Wir nahmen eine weiße Fahne mit. Er beschützte mich auf dem Shiroyama, und ich beschützte ihn, als wir das Armeegebiet erreichten. Er verschwand im Wald, bevor wir am Kontrollpunkt anlangten, sonst wäre er erschossen worden. Aber als ich zum Stützpunkt zurückkam, musste ich Bericht erstatten. Ich konnte erst wieder fortschlüpfen, als die Armee zum Berghang vorrückte. Ich dachte, Kuninosuké wäre ins Lager zurückgekehrt, doch er überbrachte selbst die Botschaft des Generals. Er wusste, dass ich es nicht rechtzeitig schaffen würde.«
    Er drehte sich zu Kuninosuké, legte die Hände auf den mit Asche bedeckten Boden und verbeugte sich formell. »Toyoda-sama. Ich stehe in Ihrer Schuld. Wir alle hier. Sie haben den Befehl Ihres Herrn ausgeführt und das Leben aller hier gerettet. Ich weiß, unsere Clans – Ihrer und meiner – sind Feinde und waren das schon seit Generationen. Sie haben jeden Grund, mich zu hassen, vor allem jetzt.« Er deutete zum Shiroyama, auf dem der Beschuss unverändert weiterdröhnte. »Ich weiß, Sie stehen General Kitaoka nahe. Er ist ein großer Mann. Ich verehre ihn ebenfalls. Es ist schrecklich, dass die Dinge
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