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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals
Autoren: Stefan Fandrey
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Dreck auf Wangen und Stirn. Der alte Hengst schnaufte, als Carafa in die Steigbügel stieg.
    Er ritt die Via del Pellegrino hinauf. Die unzähligen Händler, die hier Fleisch, Fisch, Brot oder Töpferwaren anboten, beachtete er nicht. Er hielt sich in westlicher Richtung. Die Straßen wurden stetig enger.
    Schließlich gelangte er an den Tiber. Auf der anderen Seite erhob sich groß und wuchtig die Engelsburg. Vor ihm lag das Viertel Torre di Nona, das die Römer schlicht Hurenviertel nannten. Kaum hatten ihn die dreistöckigen Wohnhäuser wie ein warmer Schoß empfangen, erblickte Carafa auch schon die ersten Dirnen. Sie schauten, auf rote Kissen gelehnt, aus den oberen Stockwerken auf die Kavaliere herunter, die unten auf der Straße die Preise aushandelten. Die Hitze in diesen engen Gassen war unerträglich. Eine widerwärtige Mischung aus Staub und Schweiß lag schwer in der heißen Luft.
    Mitten im Hurenviertel stieg Carafa ab. Er führte sein Pferd durch Hinterhöfe voller Unrat. Herrenlose Hunde und Ratten stoben davon. Zerlumpte Kinder spielten im Dreck. Aus glanzlosen Augen beobachteten sie den Unbekannten mit dem alten Pferd, der sich bemühte, schnell weiterzukommen.
    Vor einem halb zerfallenen Haus aus Stein, von dessen Dach schon die Schindeln fielen, band Carafa den Hengst an. Er ging zur Tür, die nur noch schief in den Angeln hing, und klopfte zuerst dreimal, dann zweimal, dann einmal. Schließlich trat er ein. Drinnen empfing ihn dämmriges Licht, das durch die Ritzen in den geschlossenen Fensterläden hereindrang.
    »Eminenz?«, sagte eine dumpfe männliche Stimme neben Carafa.
    Der Kardinal wandte den Kopf. »Nenn mich nicht so«, sagte er. »Und steck die Pistole fort.«
    Der Mann legte die gespannte Pistole neben sich auf einen Stuhl.
    Carafa rümpfte angewidert die Nase. »Angesichts der Apanage, die ich dir zukommen lasse, könntest du dir etwas Besseres leisten, Anatol.«
    Anatol, ein Mann von etwa dreißig Jahren, lächelte. Sein Gesicht war hager, die faltige Haut von der Sonne gegerbt. Die mehrfach gebrochene Nase und die gefühllos blickenden dunklen Augen verliehen ihm etwas Brutales und Kompromissloses. Er war ähnlich gekleidet wie Carafa. »Ein Mann wie ich mit einem Haus am Campo de’ Fiori? Euer Humor ist heute wieder außergewöhnlich, Signore.«
    »Wie dem auch sei«, murmelte Carafa. »Bist du allein?«
    »Gewiss«, antwortete Anatol.
    Mit einer Hand zog Carafa einen alten Stuhl unter dem einzigen Tisch in der Mitte des Raums hervor. Als er Platz nahm, ächzte das Holz. »Setz dich«, forderte er Anatol auf.
    Plötzlich ruckte Anatols Kopf herum. An einem Fenster war das verhärmte Gesicht eines etwa zwölfjährigen Knaben aufgetaucht. In einer einzigen Bewegung griff Anatol nach seiner Pistole, zielte und drückte ab. Es gab einen ohrenbetäubenden Knall, und eine Rauchwolke, die beißend nach Schießpulver roch, erfüllte den Raum. Anatol rannte zum Fenster. »Verdammt!«, rief er. »Elendes Diebesgesindel.«
    »Du hast schon besser geschossen«, meinte Carafa.
    »Die Pistolen sind alt, das Pulver schlecht«, sagte Anatol entschuldigend.
    »Hm«, machte Carafa. Er deutete auf einen Stuhl, und nachdem Anatol sich gesetzt hatte, fuhr er fort: »Du wirst bald Gelegenheit erhalten, dir neue Waffen zu besorgen.«
    Anatol zog interessiert die Brauen hoch. »Ihr habt einen Auftrag für mich?«
    »In der Tat.«
    »Dann hole ich Wein, auf dass wir unser Geschäft begießen«, sagte Anatol. Er stand auf, ging hinüber in die kleine Küche und kam mit einem Krug Wein und zwei Gläsern zurück. Sogleich schenkte er sie voll. »Wohlan, was wünscht Ihr, dass ich für Euch erledige?«
    »Es geht um einen Mord«, sagte Carafa. Widerwillig nippte er an dem schmutzigen Glas und stellte es zurück auf den Tisch.
    Begeistert klatschte Anatol in die Hände. »Ausgezeichnet«, sagte er. »Wer ist es? Jemand, den ich kenne?«
    »Oh, gewiss kennst du ihn«, antwortete Carafa.
    »Dann spannt mich nicht auf die Folter.«
    »Es ist der Heilige Vater höchstselbst.«
    Um ein Haar wäre Anatol vom Stuhl gefallen. Er rang nach Luft und trank sein Glas in einem Zug leer. Dann stand er auf und ging um den Tisch herum. Mit beiden Händen fuhr er durch sein schwarzes Haar. »Ihr beliebt zu scherzen«, stöhnte er.
    »Mitnichten«, sagte Carafa. »Dein Auftrag ist es, Sixtus zu ermorden.«
    »Der Heilige Vater«, stammelte Anatol. »Ihr könnt nicht allen Ernstes von mir verlangen, den Stellvertreter Christi zu
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