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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals
Autoren: Stefan Fandrey
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»Geht nur hinein, Schwester.«
    Bedächtig drückte Giulia die Klinke hinunter und betrat den Raum. Die Vorhänge vor den großen Fenstern waren zugezogen. An der Wand stand ein großes, mit Gold veredeltes Bett. Hoch darüber hing ein Baldachin aus Goldbrokat. In dem Gewühl aus Decken und Kissen sah Giulia das eingefallene, aschfahle Gesicht des Heiligen Vaters.
    Neben dem Bett saß ein Medicus auf einem einfachen Stuhl. Als er Giulia sah, stand er auf.
    »Wie geht es Seiner Heiligkeit?«, fragte Giulia.
    »Es besteht keinerlei Hoffnung mehr«, erklärte der Medicus. »Es liegt nun allein in Gottes Hand, wann Er den Heiligen Vater in das ewige Himmelreich holen wird.« Er ging an Giulia vorbei und schloss die Tür hinter sich.
    Sie trat näher an das Bett, bis ihre Knie den Rahmen berührten. Der Heilige Vater hielt die Augen geschlossen, sein Atem ging schwer und rasselnd. Giulia glaubte nicht, dass er sich ihrer Anwesenheit bewusst war. Sein Geist schien längst in anderen Gefilden angekommen. Regungslos schaute sie ihn an. Ein Jahr lang hatte sie diesem Mann gedient, und viele Einzelheiten kamen ihr in den Sinn. Seine sprichwörtliche Schwatzhaftigkeit, sein Jähzorn, sein heftiges Temperament. Nun lag er vor ihr, klein, krank, sterbend. Am Ende seiner Reise ist doch jeder Mensch gleich, ob Papst oder Bauer. Die Reise nach Grottammare fiel ihr ein. Die Beichte des Papstes in der winzigen Kirche. Wann immer du einen Wunsch hast, sage ihn mir, und er geht in Erfüllung. Das verspreche ich dir hier im Angesicht des Herrn. Das waren seine Worte gewesen. Von welch kurzer Dauer das Versprechen des Papstes doch gewesen war. Kaum hatte sie seiner Hilfe bedurft, vertraute zutiefst darauf, wandte er sich von ihr ab, um das Gesicht zu wahren. Ein Wort des Heiligen Vaters hätte genügt, sie aus dem Kerker zu befreien, und niemand hätte gewagt, ihm daraus einen Vorwurf zu machen. Doch er war gewillt, sie auf dem Scheiterhaufen zu opfern. Glaubte er wirklich, sich durch seine Beichte in Grottammare von allen Sünden reinwaschen zu können? Dachte er, sie, Giulia, könnte ihm die Absolution erteilen und seine Gräueltaten als Folge seiner kindlichen Erfahrungen entschuldigen? Nein, die Grausamkeit seines Vaters war eine Erklärung, doch sie konnte ihn nicht von seinen eigenen Sünden reinwaschen. Und Giulia hatte keinen Beweis dafür gefunden, dass der Heilige Vater seit Grottammare gewillt gewesen war, seine Fehler wiedergutzumachen. Obschon er wusste, dass Giulia sterben sollte, hatte er sich feige und gleichgültig gezeigt. Nun sollte Gott über ihn richten. Giulia war nicht mehr fähig, Mitleid mit diesem Mann zu empfinden. Sie sann nicht auf Rache, sie war nur zutiefst enttäuscht.
    Plötzlich schlug der Papst die Augen auf. Sein Blick klärte sich etwas, die schmalen Lippen zuckten. Da bemerkte er Giulia neben seinem Bett. Er schien etwas sagen zu wollen, doch die Stimme versagte ihm. Dann hob er langsam eine Hand. Die Finger zitterten und reckten sich Giulia entgegen.
    Sie sah ihn ohne jegliche Regung an. Eine Elle von ihr entfernt verharrte die Hand in der Luft. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie zu umfassen. Verzweifeltes Flehen schien von den Fingern Besitz ergriffen zu haben. Ein Flehen, das sich auch in den Augen des Heiligen Vaters widerspiegelte.
    Brüsk wandte Giulia sich ab. In ihrem Rücken hörte sie, wie der Arm zurück auf die Decke sackte. Sie öffnete die Tür, schlüpfte hindurch, ohne den Heiligen Vater eines letzten Blickes zu würdigen.
    Gazetti schritt ihr entgegen. »Betet für ihn, Schwester«, sagte er mit gefalteten Händen.
    »Gewiss«, sagte Giulia. Sie verließ die Gemächer und machte sich auf den Weg zum Lazarett, das in einem kleinen Nebengebäude lag.
    Das Lazarett bestand nur aus einem großen Raum. Giulia fand Geller am Ende des Saales in einem Bett liegend. Freude ergriff sie, und sie ging schneller.
    »Schwester Giulia!«, rief Geller ihr fröhlich entgegen.
    »Francesco«, sagte sie, als sie bei ihm war. »Es tut gut, Euch zu sehen. Wie fühlt Ihr Euch?«
    Er grinste. »Nun, da Ihr bei mir seid, wundervoll.«
    Sie lächelte. »Und wenn ich nicht bei Euch bin?«
    Geller zeigte auf den Verband um sein Knie, durch den Blut gesickert und getrocknet war. »Carafas Kugel ist in meine Kniekehle gedrungen und hat das Knie zerschlagen. Sollten wir noch einmal jemanden durch die Katakomben jagen, muss ich mir die Sänfte des Heiligen Vaters leihen.«
    Die scherzhafte Bemerkung erheiterte
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