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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals
Autoren: Stefan Fandrey
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unter den Wartenden auf dem Petersplatz. Sie hatte Rufina überredet, bis zur Papstwahl in Rom zu bleiben, bevor sie gemeinsam zurück nach Santa Annunziata reisten. Nun blickten die beiden Nonnen zusammen mit Tausenden Gläubigen unverwandt auf das Fenster, das sich direkt über dem Hauptportal des Petersdoms befand.
    Nach einer Weile öffnete sich das Fenster. Zwei Kardinäle traten heraus, dann betrat Monsignore Gazetti den kleinen Balkon und stellte sich zwischen sie. Er hielt eine geöffnete Bibel in den Händen und rief mit glasklarer Stimme über den Platz: »Annuntio vobis gaudium magnum, habemus Papam!«
    Eine in Weiß gekleidete Gestalt erschien hinter Gazetti. Langsam schritt der neue Papst auf den Balkon.
    »Kardinal Giovanni Battista Castagna!«, rief Gazetti. »Seine Heiligkeit Urban VII.«
    Die Wahl Castagnas zum Papst war für Giulia keine Überraschung, hatte sie doch damit gerechnet, dass der einflussreiche Kardinal die Nachfolge von Papst Sixtus V. antreten würde. Gleichwohl hatte sie gehofft, einen gemäßigteren Mann als neuen Papst zu sehen.
    »Giulia«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr.
    Sie fuhr herum und schaute in das Gesicht Fulvias. Dann stutzte sie. Fulvia trug nicht den Habit einer Nonne, sondern ein farbenfrohes Kleid mit weitem Ausschnitt und eine modische gelbe Haube auf dem Kopf. »Fulvia? Wieso …«
    Fulvia lachte auf. Die grenzenlose Überraschung in Giulias Gesicht schien sie zu erheitern. Sie sah an Giulia vorbei auf den Petersdom. »Ist es nicht großartig?«, fragte sie. »Kardinal Castagna ist der nächste Heilige Vater.«
    Verwirrt schüttelte Giulia den Kopf. »Du scheinst dich sehr darüber zu freuen.«
    »Gewiss«, sagte Fulvia. »Er ist mein Vater.«
    Giulia glaubte, sie habe nicht recht gehört. »Du bist die Tochter von Kardinal Castagna?«, fragte sie.
    »Fortan Papst Urban VII.«, gab Fulvia zurück.
    Da wusste Giulia, wer der dritte Verschwörer war. »Eine Nonne scheinst du zumindest nicht zu sein«, meinte sie mit Blick auf Fulvias Kleider.
    »Mitnichten«, sagte Fulvia. »Mein Vater wusste von Carafas Plänen. Da hat er mich geschickt, dir zu helfen.«
    Wut über Fulvias Maskerade und über die Täuschung überkam Giulia. »Wohl eher, um sich selbst zu helfen«, sagte sie.
    »Bitte, sei mir nicht böse«, sagte Fulvia.
    Giulia beachtete sie nicht. Sie wandte sich Rufina zu. »Mutter«, sagte sie, »es ist Zeit. Lasst uns Rom für immer den Rücken kehren.«
    Rufina legte einen Arm um Giulias Schultern und ging mit ihr in den Petersdom, um ihre Habseligkeiten zu packen.
    Die Reise zurück nach Santa Annunziata dauerte sieben Tage. Noch bevor Giulia und Rufina das Kloster erreichten, hatte sich ihre Rückkehr bei den Nonnen herumgesprochen. Die Schwestern Ada, Rossana und Liliana liefen dem Pferdewagen jubelnd entgegen. Sie schwangen sich auf die Pritsche, umarmten Giulia auf das Herzlichste, küssten ihr die Stirn und bestürmten sie mit Fragen, bis Rufina ihnen Einhalt gebot.
    Vor dem Kloster hatte sich der gesamte Konvent versammelt. Einige der Nonnen hatten bunte Blumensträuße gepflückt, die sie Giulia freudestrahlend überreichten.
    Es tat Giulia gut, die geliebten Schwestern und die vertraute Umgebung wiederzusehen. Hier war sie aufgewachsen, und hier fühlte sie sich sicher und geborgen.
    Ada, Rossana und Liliana waren derart außer sich vor Freude, dass Rufina sie fortschicken musste. Sie brachte Giulia in ihre Zelle und stellte das Gepäck neben die Tür.
    Langsam betrat Giulia ihre angestammte Unterkunft. Es roch noch immer so, wie sie es in Erinnerung behalten hatte. Nach altem Holz, nach würzigen Kräutern aus dem Garten und nach den Zedern im nahen Wald. Sie sah aus dem Fenster. Nun, da sie zurück war, spürte sie eine Leere in ihrem Herzen. Es fühlte sich an, als hätte sie in Rom einen Teil ihrer Seele zurücklassen müssen.
    Rufina trat zu ihr und schaute über ihre Schulter durch das kleine Fenster. »Was willst du nun tun, mein Kind?«, fragte sie.
    Giulia rührte sich nicht. Sie wusste, dass Rufina ihre Gefühle erraten hatte. Niemand unter Gottes Sonne kannte sie besser als Rufina, die wie eine wahre Mutter für sie war. Und weitaus mehr als das. »Ich weiß es nicht, Mutter«, flüsterte sie und vergrub ihr Gesicht in beide Hände.
    Rufina strich Giulia über den Kopf. »Du liebst diesen Mann«, sagte sie.
    »Ich bin eine Braut Christi«, erwiderte Giulia.
    »Christus hat ausreichend Bräute«, sagte Rufina. »Er wird gewiss auf
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