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Die Tochter des Kardinals

Die Tochter des Kardinals

Titel: Die Tochter des Kardinals
Autoren: Stefan Fandrey
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Giannozzo.
    »Wir befinden uns nicht weit vom nördlichen Aufgang«, erklärte dieser.
    »Beeilung!«, rief Geller. »Wenn Carafa den Aufgang erreicht, entkommt er womöglich für immer.«
    Nach einem anstrengenden Marsch kamen sie an eine weitere Gabelung. Aus einem der Gänge, die hier zusammenliefen, drang schwacher Lichtschein. Sie bogen um die Ecke und sahen zweihundert Schritt entfernt die untersten Stufen einer Treppe, die aufwärts führte.
    Geller nahm seinen Helm ab und lehnte sich an die Wand. »Es ist vorbei«, sagte er tonlos. »Carafa ist geflohen.«
    Die Gardisten traten mit dem Fuß gegen herumliegende Kiesel. Einige von ihnen taten es dem Capitano gleich, andere setzten sich einfach dort nieder, wo sie gerade standen.
    Giulia fühlte sich unendlich erschöpft und niedergeschlagen. »Ich kann es kaum glauben«, hauchte sie.
    Zwei Aussätzige gingen auf den Aufgang zu. Etwa zwanzig Schritt von der Gruppe entfernt hielten sie inne. »Seltsam«, sagte einer der beiden. Die Wände trugen seine Stimme zu den übrigen.
    »Was meinst du?«, wollte Giannozzo wissen.
    Der Vermummte deutete auf den Boden zu seinen Füßen. »Das Blut«, sagte er, »es führt bis an diesen Punkt und nicht weiter.«
    Gellers Kopf ruckte herum. Er schien plötzlich wieder hellwach zu sein. »Was sagst du da?« Er löste sich von der Wand und drängte sich durch die Umstehenden nach vorn.
    »Die Blutspur endet hier«, wiederholte der Aussätzige.
    Gerade wollte Geller zu ihnen, als aus einem Loch in der Decke über den beiden ein wilder Schrei erklang. Dann sauste Carafa auf die Aussätzigen nieder, die Muskete in den Händen. Der Aufprall schlug die Männer bewusstlos. Aus funkelnden Augen starrte Carafa Geller an. Langsam hob er den Lauf der Muskete an.
    Geller stockte im Lauf und warf sich herum. Er hob eine Hand und brüllte: »Bereit zum Feuern!«
    Die Gardisten richteten ihre Musketen und Pistolen auf den Kardinal.
    »Nein!«, schrie Giulia. Sie stellte sich zwischen Carafa und die schussbereiten Gardisten. »Nicht schießen!« Sie streckte die Arme nach oben.
    »Schwester«, rief Geller. »Was tut Ihr da? Geht aus der Schusslinie!«
    Giulia beachtete ihn nicht. Sie wandte sich zu dem Mann um, der ihr Vater war. »Vater«, sagte sie. »Ich bitte Euch. Gebt endlich auf.«
    »Vater!«, schnaufte Carafa. »Nimm dieses Wort nicht in den Mund!« Die Muskete in seinen Händen zielte auf Giulias Herz.
    »Willst du mich erschießen?«, fragte Giulia mit sanfter Stimme. Sie verspürte keinerlei Angst.
    »Ich sagte dir, dass du den Tod verdient hast«, zischte Carafa.
    »Ich habe dir vergeben, Vater.«
    »Ich dir keineswegs«, kam die Antwort, die voller Hass und zugleich voller Trauer war.
    »Wenn du mich erschießt, war das Opfer meiner Mutter vergebens«, sagte Giulia.
    »Was weißt du schon?«, rief Carafa. »Glaubst du, sie hätte sich geopfert, um dir das Leben zu schenken?«
    Giulia nickte. »Ja, das glaube ich.«
    Carafa lachte verächtlich auf.
    »Wenn du mich erschießt«, fuhr Giulia unbeirrt fort, »heilt das den Schmerz in deinem Herzen nicht. Leg die Waffe nieder, damit wir miteinander über deine Trauer, deine Qual und deine Sehnsucht sprechen können, Vater.«
    Carafa schüttelte den Kopf, als wolle er sich von irgendetwas befreien. Giulia glaubte, Tränen in seinem Gesicht zu erkennen. Sie ging einen Schritt näher und streckte die Hände aus.
    »Bleib stehen!«, befahl Carafa.
    Giulia sagte nichts, sondern ging langsam weiter auf ihn zu.
    Carafa hob die Muskete und legte an.
    »Nein!«, brüllte Geller in Giulias Rücken. Er stürmte auf sie zu, packte sie an den Schultern und riss sie herum. Ein Schuss knallte durch den Gang. Geller schrie auf und sackte über Giulia zusammen.
    Gleichzeitig holte Giannozzo aus und warf das Schwert mit voller Wucht. Die Klinge fuhr Carafa in den Bauch. Fassungslos starrte der Kardinal auf das Schwert in seinem Leib. Dann fuhr er herum und schleppte sich schwankend dem Aufgang zu.
    Mit einem Mal erschienen an den Wänden des Aufgangs die Schatten von unzähligen Männern, die die Stufen hinunterrannten: die Soldaten der Barone. Noch mitten auf der Treppe sahen sie Carafa, legten an und schossen. Im gleichen Augenblick feuerten auch die Gardisten in Carafas Rücken auf den Flüchtenden. Von Dutzenden Kugeln getroffen, stürzte er zu Boden und blieb reglos liegen.
    Giulia wand sich unter Geller hervor, der mit schmerzverzerrtem Gesicht über ihr lag. Sie drehte ihn vorsichtig auf den
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