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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe
Autoren: Astrid Fritz
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ausdrucksstarke Handschrift ihrer Mutter; es waren Aufzeichnungen zu Saat-, Pflanz- und Fruchtfolge ihres Gemüsegartens samt akribischen Beobachtungen über Harmonie und Disharmonie zwischen den einzelnen Pflanzenarten. Marthe-Marie schloss die Augen und stellte sich vor, wie Catharina nach vollbrachter Arbeit mit Gänsekiel und Tintenfass am Küchentisch saß und ihre Erkenntnisse niederschrieb.
    Die Briefe waren ihrem Absender nach gebündelt. Der dickste Stoß enthielt die Briefe ihrer Ziehmutter Lene, Catharinas bester Freundin und Base, ein schmalerer die von Catharinas heimlichem Gatten Christoph. Schließlich waren da noch jene, die sie selbst als Kind und junges Mädchen geschrieben hatte. Mit den Fingerspitzenstrich sie über das brüchig gewordene Pergament der Umschläge. Dann zog sie einen davon heraus. Auf ihren Lippen breitete sich ein Lächeln aus, während sie die verblichene, krakelige Kinderschrift zu entziffern versuchte.
    Meine Lieblingstante!, las sie. Mama ist mit den beiden Kleinen auf dem Markt, und so habe ich endlich Ruhe, dir zu schreiben. Vor allem Ferdi ist schrecklich, immer wenn ich einen Brief schreiben will, kritzelt er mir auf dem Blatt herum, bis es zerreißt. So kleine Kinder sind manchmal eine richtige Qual. Stell dir vor, gestern hat mir Jacob, der Schwertfegersohn aus dem Nachbarhaus, eine Liebeserklärung gemacht! Ich musste so sehr lachen, dass er beleidigt davongerannt ist. Wahrscheinlich wird er nie wieder ein Wort mit mir sprechen. Aber ich werde sowieso niemals heiraten. Lieber will ich die Welt kennen lernen und in fremde Länder reisen.
    Uns geht es allen gut, nur Mama ist heute übler Laune, weil sie sich gestern Abend mit Vater gezankt hat. Aber ich mache mir keine Sorgen, denn sie versöhnen sich immer sehr schnell wieder. Es umarmt dich ganz innig, deine Marthe-Marie.
    Sie musste lachen. Den forschen Nachbarsbuben Jacob hatte sie beinahe vergessen. Dabei war er es gewesen, von dem sie den ersten Kuss bekommen hatte.
    Sie faltete das Blatt zusammen und legte es zu den anderen Briefen in die Reisekiste, als sie ein helles Kichern hörte. Nicht weit von ihr schlenderten Tilman und Klette, wie immer Hand in Hand, über die Wiese in Richtung Stadt. Sie sah ihnen nach. Es war die erste große Liebe, die die beiden erlebten. Wie lange sie wohl andauern mochte? Unvermittelt sprang sie auf und rannte ihnen nach.
     
    Der Turmbläser verkündete den Feierabend. Die Krämer und Marktleute schlossen die Lauben, die Handwerker räumten ihre Waren aus den Fenstern und klappten Läden und Tore zu. Rasch füllten sich die Gassen mit Tagelöhnern und Knechten, Gesellenund Lehrbuben, die fröhlich schwatzend oder mit müdem Gesicht nach Hause strebten oder eine der zahlreichen Schenken aufsuchten.
    Unschlüssig blieb Jonas vor dem Rathaus stehen. Er überlegte, ob er geradewegs «Zur Höhle» auf ein Bier gehen sollte, um seinen Ärger herunterzuspülen. Er hatte eben ein höchst unerquickliches Gespräch mit dem protestantischen Stadtpfarrer hinter sich. Bei den Mädchen, die seinen Unterricht besuchten, ließe die Kenntnis des Katechismus sehr zu wünschen übrig, war dessen Vorwurf gewesen. Was der Herr Pfarrer denn unter Kenntnis verstünde, hatte er entgegnet, es ginge doch nicht darum, alles Wort für Wort hirnlos herunterzubeten, sondern den Sinn der Worte zu erfassen. So waren sie in eine fruchtlose Debatte geraten, die einzig dazu führte, dass Jonas am Ende geloben musste, künftig mehr Gewicht auf das Auswendiglernen zu legen.
    Jonas seufzte. Bei diesem Pfaffen waren Hopfen und Malz verloren. Er beschloss, sich zu Hause ein wenig frisch zu machen, um sich später endlich wieder einmal im «Löwen» zu zeigen, jenem vornehmen Gasthaus im Humpisquartier, wo sein Freund Mürlin den Feierabendtrunk zu nehmen pflegte.
    Als er in die Klostergasse einbog, sah er vor seiner Haustür einen Burschen und ein Mädchen stehen, die offenbar auf jemanden warteten.
    «Kann ich euch weiterhelfen?», fragte Jonas. Da erst erkannte er den Jungen. «Tilman! Meine Güte, bist du groß geworden.»
    Tilman schüttelte ihm freudig die Hand. «Und das ist Klette.» Er strahlte. «Sie gehört jetzt zu uns.»
    Jonas reichte Klette die Hand. Das Mädchen ist bildhübsch, dachte er, und Tilman bis über beide Ohren verliebt.
    «Dann wolltet ihr zu mir?»
    «Ja. Wir feiern doch heute Abend Marthe-Maries Abschied, und da sollst du mit dabei sein.»
    Jonas runzelte die Stirn. «Wer sagt
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