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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe
Autoren: Astrid Fritz
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Tagen Bedenkzeit zu benachrichtigen.
    Zerknirscht war Sonntag ins Lager zurückgekehrt.
    «Wenn Diego nicht bald kommt, sind wir aufgeschmissen. Nicht einmal mehr Musikanten haben wir. Was für einen Sinn hat das alles noch? Am besten, ich löse die Compagnie auf. Soll doch jeder seine eigenen Wege gehen.»
    «Und du verdingst dich fortan als Ackerknecht? Ohne mich. Lieber suche ich mir eine andere Truppe und einen anderen Mann», hatte Marusch gedroht. «Warum siehst du immer gleich schwarz? Tilman und Niklas gehen geschickt mit ihren Trommeln um, und Tamburin schlagen und auf der Fiedel kratzen kann ich auch.»
    Marthe-Marie setzte sich auf die Reisekiste und ließ ihren Blick ziellos über das Rund der Wagen und Karren gleiten. Nach Feierabend würde ihr Bruder sie holen kommen, dann hieß es Abschied nehmen. Für sie und Agnes würde ein neues Leben beginnen. Angesichts der Mutlosigkeit, die unter ihren Freunden herrschte, schien ihr das fast wie Verrat.
    Sie sah an sich herab. In ihrem hellen, schlichten Barchentkleid, dem blütenweißen Brusttuch und dem zartgelben Hemd darunter mit Manschetten und Spitzenkragen war sie ganz plötzlich eine andere. Sie gehörte nicht mehr zu den Spielleuten.
    «Sieh an, die Tochter des Bürgermeisters kommt uns besuchen», hatte Marusch sie geneckt, als sie gestern vom Einkauf mit Hoferzurückgekehrt war, und damit ihre Verlegenheit über ihre neuen Kleider nur noch verstärkt. Dabei war von Neid nichts zu spüren, auch bei den anderen nicht. Jeder schien sich über diese glückliche Fügung ihres Schicksals zu freuen.
    Marusch kam heran und setzte sich neben sie. «Du schaust drein, als müsstest du für die nächsten Monate in den Turm. Warum freust du dich nicht? Meinst du, mit deinem Trauergesicht änderst du irgendetwas an unserer Lage? Wir schaffen das schon. Auch wenn es ohne unsere berühmte Rechenmeisterin schwierig wird.» Marthe-Marie versuchte ein fröhliches Lächeln aufzusetzen.
    Von der Landstraße her näherte sich mit Geschepper und Getöse ein Maultierkarren. Marusch sprang auf. «Was ist denn das für eine Gestalt?»
    Ein Mann in einem schreiend rot-gelb gewürfeltem Kostüm lief neben dem kunstvoll bemalten Karren her, auf seinem Kopf leuchtete karottenrotes Haar, das wie Draht in alle Richtungen stand. Bei jeder Umdrehung der Räder schlugen Topfdeckel gegeneinander und übertönten noch die rasselnden Tamburine, die an der Deichsel befestigt waren. Der Fremde steuerte geradewegs auf die beiden Frauen zu. Als er vor ihnen stand, erschien auf seinem fast mädchenhaft schmalen Gesicht ein umso breiteres Lächeln.
    «Einen wunderschönen Morgen wünsche ich den beiden edlen Damen. Gibt es hier so etwas wie einen Prinzipal?»
    Marusch biss sich auf die Lippen, um nicht in lautes Lachen auszubrechen.
    «Leo, schnell», rief sie in Richtung Bühnenwagen. «Wir haben hohen Besuch.»
    Verdrießlich und ohne Eile schlurfte Sonntag herbei, hinter ihm mit neugierigen Blicken seine Männer.
    Der Fremde grinste nun von einem Ohr zum andern.
    «Gestatten   – Botticher. Ulricus Botticher.»
    Dann zog er, wie andere Leute den Hut, mit großer Geste seinenHaarschopf vom Kopf. Der kahl geschorene Schädel glänzte hell wie der Vollmond, der noch am westlichen Horizont stand.
    Sonntag pfiff durch die Zähne. «Was ist denn das für ein komischer Vogel?»
    «Komischer Vogel auch, desgleichen aber ernsthafter Mime, der Euch den verlorenen Sohn so herzergreifend gibt, dass Euch vor Rührung die Tränen aus den Hosennähten quellen. Doch meine eigentliche Kunst ist das Verschlingen und Verschlucken. Ob Glasscherben, Holzspäne, Nägel oder weiße Mäuse – ich verspeise alles. Dazu schütte ich mit so viel Genuss Petroleum in mich hinein wie Ihr am Feierabend Euer Bier. Glaubt mir, an meinem Furz könnt Ihr dann ein wahres Höllenfeuer entzünden.»
    Sonntag musste wider Willen lachen.
    In gespielter Empörung zog Botticher die Augenbrauen in die Höhe. «Das ist nicht lustig, das ist hohe Kunst. Ich gebe Euch gern eine Probe.»
    Sorgfältig platzierte er das rote Kunsthaar wieder auf seinen Schädel.
    «Und warum», fragte Sonntag, «habt Ihr Euer Haar geschoren? Oder habt Ihr es beim Furzen abgefackelt?»
    Jetzt brachen Sonntags Männer in schallendes Gelächter aus, und selbst Marthe-Maries Mundwinkel begannen verräterisch zu zucken.
    «Schade, schade.» Botticher schüttelte bedauernd den Kopf. «Und ich dachte, ich hätte es bei der berühmten Compagnie des noch
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