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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe
Autoren: Astrid Fritz
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das mir verbietet, eine Unehrliche zu heiraten!»
    «Ich will dein Mitleid nicht! Lieber verdinge ich mich irgendwo als Dienstmädchen oder als Magd. Ja – sieh mich nicht so an, ich kann mich allein durchschlagen. Ich weiß, wie schwer das ist, als Witwe mit einem Kind, dazu noch als Fremde. Aber ich hab den letzten Winter überstanden, also schaffe ich auch das.»
    «Und Diego?»
    «Was geht dich Diego an? Er ist ein guter Freund, vielleicht der beste, den sich eine Frau wünschen kann.»
    Wie wütend sie war. Nein, er bedeutete ihr offenbar nichts mehr. Nur noch Abwehr und Trotz las er in ihrem Gesicht. Er schloss die Augen und atmete tief durch. «Dann wünsche ich dir viel Glück», murmelte er. «Wann zieht die Truppe weiter?»
    «Das weiß ich nicht. Ich werde Marusch und die anderen verlassen.»
    «Was heißt das?»
    «Dass ich in Ravensburg bleiben werde.»
    «Jetzt verstehe ich.» Dabei verstand er in diesem Augenblick überhaupt nichts mehr. Er sah nur noch diesen Benedikt Hofer mit ihr über die Bachgasse schlendern. »Warum bist du zu feige, mir ins Gesicht zu sagen, dass du mit einem anderen Mann zusammen bist? Das kannst du ruhig, ich habe euch gesehen, heute Mittag.» Er schluckte. «Bei dem hast du diese Vorbehalte mit Scham und Schande wohl nicht? Aber eins muss ich dem jungen Hofer lassen: Er scheint auch nicht zu zögern, sich vor aller Augen mit Jauche zu übergießen, indem er sich mit einer Frau unter seinem Stand zeigt. Hut ab!»
    «Benedikt Hofer ist mein Bruder!»
    «Dein was?»
    «Ich habe es auch erst vor kurzem erfahren.»
    «Dann ist der alte Hofer –?»
    Sie nickte. Ihre Wangen hatten wieder Farbe angenommen. «Ich komme eben von dort.»
    «Und   – Agnes?»
    Zum ersten Mal zeichnete sich so etwas wie Freude auf ihrem Gesicht ab. «Sie nennt ihn schon Großvater. Dabei weiß sie gar nicht genau, was das ist. Hofer – mein Vater will für sie sorgen. Agnes war sehr krank, musst du wissen.»
    «Und du? Ich meine, was wirst du tun, jetzt, wo du deinen Vater gefunden hast?»
    «Das habe ich dir doch gesagt.» Ihre Stimme zitterte ein wenig.«Ich suche mir ein Zimmer und eine Anstellung. Irgendwo in der Stadt, um in Agnes’ Nähe zu bleiben. Er hilft mir dabei.»
    Jonas schüttelte ungläubig den Kopf. «Ein sauberer Vater, der seine eigene Tochter nicht bei sich aufnehmen will. Hat er Angst vor dem Gerede der Nachbarn?»
    «Ich bin es, die nicht bei ihm wohnen will. Als alter Mann hat er erfahren, dass er noch eine Tochter und ein Enkelkind hat, verstehst du? Das muss wie ein Schlag für ihn gewesen sein. Wenn es uns nicht immer übler ergangen wäre, hätte ich ihn gar nicht aufgesucht – ich habe es für Agnes getan. Was mich betrifft, so will ich nur eins: auf eigenen Beinen stehen. Leider bin ich in meiner Lage noch auf seine Hilfe angewiesen. Doch heißt das längst nicht, dass ich mich jetzt in ein gemachtes Nest setze.»
    «Warum bist du so stolz?»
    «Weil Stolz das Einzige ist, was mir geblieben ist.»
    Er fand keine Worte mehr. Sie hatte für sich selbst bereits alles entschieden. Stumm betrachtete er ihr schönes Gesicht, die fein geschnittenen Züge, denen nichts Mädchenhaftes mehr anhaftete. Es war die tiefgründige Schönheit einer erfahrenen Frau. Eine schwarze Haarlocke hatte sich gelöst und fiel ihr in die klare Stirn, fast bis auf die schmalen dunklen Brauen. Dann versank er im Blick ihrer Augen. Zu seiner Überraschung spiegelte sich darin dieselbe Liebe, die er für sie empfand. Es war, als ob ihrer beider Seelen sich gegenseitig öffneten, ohne Trug und Täuschung.
    Sie senkte den Blick. «Ich muss jetzt gehen.»
    «Ja, gewiss. Die anderen werden schon auf dich warten.»
    Er trat einen Schritt zurück, zögerte noch. «Ich wohne in der Klostergasse, über der Werkstatt des Kammmachers.»
    Dann drehte er sich um und ging die Straße hinunter Richtung Untertor.
     
    Marthe-Marie lag auf ihrem Strohsack und starrte ins Dunkel des Wohnwagens. Zu viel hatte sich in diesen Tagen ereignet, zu viel, als dass sie hätte einen klaren Gedanken fassen können. Noch immer hatte sie nicht begriffen, dass sie ihren Vater gefunden hatte, viel weniger, so schien es, als der alte Benedikt Hofer selbst, der ihr heute mit offenen Armen entgegengetreten war. Es hatte lange gedauert, bis sich ihre Befangenheit gegenüber dieser fremden Familie, die nun die Ihre sein sollte, gelegt hatte. Hinzu kam, dass sie Anstand und Sitte bei Tisch nicht mehr gewohnt war, und sie ertappte sich
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