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Die Tochter Der Goldzeit

Die Tochter Der Goldzeit

Titel: Die Tochter Der Goldzeit
Autoren: Jo Zybell
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Sonnenkreise geschlafen, statt zehntausend Sonnenkreise herumzustreunen und immer nur zu schauen und zu hören und zu schauen und zu hören? Sie wird kommen, vertrau mir!«
    »Werdens ja sehen.«
    Noch kommt niemand, jedenfalls ist niemand zu sehen. Nur zu hören gibt es etwas, das schon: ein Rascheln, brechende Zweige, ein flehendes Maunzen und Quäken. Und hechelt da nicht auch ein Canide? Bald hören sie es ganz in der Nähe rascheln und maunzen und splittern und kläffen. Der Farn am niedrigeren Ende des Gemäuers bewegt sich, und dann springt ein schwarzes Lamm aus dem Farnfeld, ein junges Böckchen. Als spüre es die Gegenwart der Anderen, äugt es hinauf in die Kronen der Birken, ins Eibengeäst und zur Mauerkrone des zerfallenen Halbrunds, wo Efeu wuchert und Moos die Steine bedeckt.
    Das Lamm will zurückweichen in den Farn, doch etwas hält es fest. Das Böckchen öffnet das Maul, um zu blöken, doch kein Mucks dringt mehr aus seiner Kehle. Wie festgewachsen verharrt es vor dem Farnfeld neben dem alten Gemäuer.
    Das Hecheln eines Caniden und das Flüstern eines Kindes rücken näher, wieder bewegt sich der Farn, und jetzt sehen sie das Mädchen. An manchen Stellen reichen die Farnwedel ihm über den Kopf, an anderen nur bis zur Schulter, sodass man einen schwarzen Lockenschopf erkennen kann.
    »Siehst du, Sakrydor?«, triumphiert die helle, singende Stimme. »Da kommt sie. Was hab ich gesagt?«
    »Und wenn sie es nun gar nicht ist?«, krächzt die andere Stimme. »Was dann? Sag's mir, Sentuya!«
    »Sie ist es. Ich gehe zu ihr, ich beweise es dir!«
    »Ich gehe! Ich! Will ihr selber auf den Zahn fühlen .«
    »Bei allen guten Geistern des Waldes - niemals! Dein bloßer Anblick würde sie ja zu Tode erschrecken! Nein, nein - ich gehe!«
    Die beiden Stimmen streiten noch eine Zeitlang jenseits der Schwelle zwischen beiden Welten, während das Mädchen durch das Farnfeld läuft.
    Von jeher trennt ein kaum auszulotender Abgrund die Welt der Menschen von der Anderen Welt. Erst seit der Zeitenwende, seit ungefähr fünfhundert Wintern, hat sich das geändert, wenn auch nur sehr langsam und an wenigen Stellen. Und zu der Zeit, als Tondo-bars Tochter dem Lamm in den Bergwald gefolgt und durch das Farnfeld gestreift ist, gibt es sie längst wieder, jene geheimen Orte, wo nur ein einziger Schritt diese Welt von der Anderen Welt trennt.
    Bei den Stämmen und Horden an den Flüssen und in den Wäldern heißen diese Stellen Kraftorte. Die Chroniken der Sozietäten nennen sie Zeitfugen.
    Will man der Chronik von Altbergen glauben, liegt eine solche Zeitfuge kaum mehr als fünftausend Schritte vom Felstor der Bergstadt entfernt. Es gibt ein zerklüftetes Gemäuer dort zwischen den Buchen, Birken und Eiben, halbrund, nach einer Seite hin offen und an der höchsten Stelle gut fünfzehn Meter hoch. Das verwitterte Halbrund durchmisst so viele Schritte, dass drei Birken, eine große Brombeerhecke und eine hohe, viele hundert Winter alte Eibe darin Platz haben.
    »Na gut, dann geh halt du, Sentuya«, sagt die krächzende Stimme aus der dichten Höhe der Eibenkrone.
    Und die mit der hellen, singenden Stimme tut schweigend den einen Schritt.

Kapitel 4
    Plärrend sprang das Lamm durch das Unterholz. Polder, der junge Hütedogger, schnitt ihm wieder und wieder den Weg ab, wollte es zurück zur Lichtung treiben. Doch das verstörte den Lammbock nur noch mehr. Katanja versuchte unentwegt, das Tier selbst zu greifen - und trug so ihren Teil dazu bei, es immer tiefer in den Wald zu scheuchen.
    Je länger das Mädchen durch das Unterholz streifte, desto heftiger musste es gegen seine Furcht ankämpfen. Seine nackten Füße taten ihm weh. Wie weit mochte es sich schon von der Lichtung und dem Tor entfernt haben? Auf einmal war das Lamm verschwunden.
    »Still, Polder, her zu mir!« Katanja griff ins Halsfell des Caniden und hielt ihn fest. »Willst du wohl stehen bleiben, dummer Dogger, du?« Sie kämpfte ihren Drang nieder, laut zu sprechen. Das hätte zwar ihre Furcht ein wenig gemildert, zugleich aber womöglich das Lamm noch weiter von ihr fortgetrieben.
    »Hier bei mir bleibst du, böser Dogger!« Das Mädchen riss an Polders Halsfell. Eine Zornesfalte stand zwischen Katanjas schwarzen Brauen. Halb wütend, halb ängstlich sah sie sich um: Nur Gestrüpp, nur Geäst, nur Laub, Bruchholz und Baumstämme - keine Spur mehr vom schwarzen Böckchen. »Da siehst du, was du angestellt hast!«, zischte das Mädchen dem Caniden ins Ohr.
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