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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin
Autoren: Federica de Cesco
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auf.
    »Nimm… die Hand nicht weg… «
    Ich rührte mich nicht. Etwas später öffnete er wieder die Augen.
    »Ich habe hier alles… was ich brauche. Wasser. Proviant. Sag Tukten Namgang, ich bin… in der Festung des siebten Panchenlamas. Der Abt… wird mir ein paar Leute schicken, die mich zum Kloster bringen. Sei ruhig, Tara. Ich komme schon durch.
    Die Mönche werden sich gut um mich kümmern. Es ist nicht das erste Mal… daß mich eine Kugel erwischt… «
    »Diesmal waren es zwei.«
    Ich hielt die Hand auf seine Stirn. Das Fieber war wieder gestiegen.
    Er sagte:
    »Du darfst… keine Zeit mehr verlieren.«
    Ich kam mir völlig ausgepumpt vor, aber ich konnte nicht warten, schon seinetwegen nicht. Je früher ich das Kloster erreichte, desto schneller würde ich Hilfe herbeischaffen. Ich streichelte seine Stirn.
    »Bist du hier in Sicherheit?«
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    Er legte seine Hand auf meine.
    »Ich glaube nicht… daß die Chinesen kommen.«
    »Wie hoch stehen deine Chancen, Atan?«
    Er grinste halbwegs.
    »Sagen wir mal… siebzig zu dreißig.«
    Ich lehnte das Gesicht an seinen Hals. Ich spürte unter meinem Mund das hastige Pochen der Schlagader, und flüsterte:
    »Ich lasse dir Tabletten da. Und Morphium, für den Fall, daß es schlimm wird… «
    »Ich komme schon zurecht«, sagte er. »Sorge gut für Kunsang.«
    Ich nickte stumm. Er streichelte mein Gesicht. Der Schatten, der in seinen dunklen Augen schimmerte, war unendlich zart.
    »Willst du auf mich warten, Tara? Ich komme zu dir. Ich verspreche es dir. Du mußt nur Geduld haben… Es kann ziemlich lange dauern.«
    Ich legte meine Lippen auf die seinen.
    »Ich warte auf dich«, flüsterte ich. »Wenn es sein muß, mein Leben lang.«
    Er lachte leise auf. Das Lachen war nur kurz, weil der Schmerz ihm gleichzeitig den Atem raubte.
    »So lange wird es nicht dauern. Ich… habe bloß… noch eine Aufgabe zu erledigen.«
    Ich schluckte würgend.
    »Deine Aufgabe, ach ja! Und was wird die nächste sein?«
    Eine Spur von seinem früheren Schalk zuckte um seinen Mund. Er wandte kurz den Blick ab, richtete ihn auf Kunsang und streckte die Hand aus. Das kleine Mädchen zögerte, bevor es seine Hand nahm und verlegen lächelte.
    »Kunsang reiten lehren«, sagte er.
    Wieder trafen sich unsere Blicke, gefangen im gemeinsamen Schmerz, und doch war dieser Schmerz mit Hoffnung verbunden.
    Die Trennung barg den Keim des Wiedersehens bereits in sich. Ich mußte daran glauben, daß er, allen Gefahren zum Trotz, auch diesmal sein Schicksal meistern würde. Ein mächtiger Schutzgeist wachte über ihn; ein Schutzgeist, der ihn niemals verlassen würde.
    Und ich wollte glauben, daß sein Schutzgeist auch etwas über Kunsang wachte, und über mich. Das Licht strahlt hell in Tibet, vom Himmel, der soviel näher ist als überall sonst auf der Welt. Die Geister wohnen in den Gipfeln, wo Adler ihre Nester bauen. Und manchmal steigen sie herab und erscheinen uns im Traum.
    468

Epilog

    D er April war in den Bergen angekommen. In Nordindien blühten die Rhododendronbäume. An den Hängen wuchsen Kiefern; ihre dunklen, lebendigen Büschel bewegten sich im Wind. In Dharamsala staute sich die Hitze, doch auf der Höhe des kleinen Ortes McLeod Ganj wehte noch der Atem des Schnees. Der Tag war klar; hinter den Moränenfeldern schimmerte der Stausee. In mäßiger Steigung führte die Asphaltstraße in Schleifen und Kurven zur Ortschaft hinauf. Der Verkehr war dicht, viele Pilger gingen zu Fuß, aber man sah auch vereinzelte Reiter. Einer dieser Reiter kam an dem großen Kasernenlager der indischen Gebirgstruppen vorbei; sein Pferd war schweißbedeckt und erschöpft. Der Reiter lehnte den Rücken an den hohen mongolischen Sattel; er trug die tibetische Tschuba und ein Wolfsfell, das in schweren Falten die hohen Filzstiefel bedeckte. Er ritt durch den Zedernwald, an der englischen Kirche und an dem Friedhof vorbei, und erreichte die ersten tibetischen Händlerbuden.
    Die Tibeter - aber auch einige Inder – blickten den Reiter argwöhnisch an; er jedoch schien die Blicke nicht zu spüren. War es Gewohnheit? Verstellung? Stolz oder Gleichgültigkeit? Sein dunkles Gesicht mit der Narbe an der Stirn zeigte kein Gefühl. Nach einer Weile erreichte er die Siedlung der tibetischen Flüchtlinge.
    Gebetsflaggen, von Zeder zu Zeder gespannt, flatterten im Wind.
    Zwischen den großen Himalayabäumen kam eine Anzahl tibetischer Bauten in Sicht. Der Reiter führte sein Pferd an der Bibliothek und am
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