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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin
Autoren: Federica de Cesco
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bei dem die Tür 448
    und zwei Fenster schwach beleuchtet waren. Einige Wächter, mit Maschinenpistolen bewaffnet, schritten auf und ab. Ein dumpfes Vibrieren belebte die Stille. Atan legte das Ohr an den Boden. Das schwere Summen kam aus der Erde. Ich sah ihn fragend an.
    »Maschinen«, flüsterte er. »Wahrscheinlich haben sie unterirdische Werkstätten. Von dort sind auch die Arbeiter in die Kantine gegangen.«
    Der Zaun aus Stacheldraht hob sich deutlich vor dem hellen Hintergrund der Scheinwerfer ab. Überall hingen Warnschilder in chinesischer und tibetischer Sprache. Wir krochen weiter, immer im Schatten des Hochspannungsmastes. Atan legte sich unter den Zaun, griff nach einer Kombizange, die er in der Tasche trug, und schnitt den Stacheldraht an zwei Stellen auf. Der Draht gab mit leisem Sirren nach; die Öffnung war groß genug, daß wir hindurchschlüpfen konnten. Die Scheinwerfer leuchteten grell, doch viele Winkel blieben im Schatten. Bald waren wir mitten auf dem Areal: Das Kraftwerk war keine hundert Meter entfernt. Die Fertigbauten für die Ingenieure befanden sich oberhalb einer Rampe. Die zweihundert Meter offene Fläche bis dahin erschienen mir entsetzlich weit, auch wenn sie teilweise im Schatten lagen.
    Die beiden Hunde erschienen fast zur gleichen Zeit. Ich hörte das gedämpfte Trommeln ihrer Pfoten, noch bevor ich sie sah. Zwei riesige Doggen, mit kurzem Fell, breiter Brust und kräftigen, muskulösen Beinen. Man hatte ihnen die Ohren gestutzt, so daß ihre Köpfe noch gewaltiger wirkten. Völlig lautlos stürzten sie auf uns zu, kein Knurren kam aus ihrer Kehle, aber in den Gesichtern und den Augen von eisigem Gelb zeigte sich tödliche Kampfbereitschaft.
    Die gemeine, die erbärmliche Angst zog jeden meiner Muskeln einzeln zusammen. Eine seltsame Erstarrung schwächte meine Gedanken. Obwohl der nackte Instinkt mich zur kopflosen Flucht drängte, rührte ich mich nicht vom Fleck. Atan stand vor mir wie eine schwarze Säule in der Dunkelheit und wich keinen Schritt zurück. Die Hunde kamen direkt auf ihn zu, strafften die Muskeln zum Sprung. Ein leiser, modulierter Pfeifton bremste sie mitten im Schwung. Das Pfeifen war kurz und deutlich, aber ohne Schärfe. Er schien zu sagen: »Hört mir zu! «
    Augenblicklich und mit gleitender Bewegung schlugen die Hunde einen Haken, schüttelten klirrend die Halsbänder, an denen sie tagsüber an Ketten gehalten wurden. Atan pfiff weiter, jetzt noch leiser und sanfter. Er stand vollkommen bewegungslos, und die 449
    Hunde duckten sich vor ihm, legten die Schnauze in den Staub. Ihre aufmerksamen, intelligenten Blicke waren auf ihn gerichtet. Atans Lippen waren jetzt geschlossen, nur noch ein kaum vernehmbarer, gleichmäßiger Laut war zu hören. Er kennt ihre Sprache, dachte ich, starr vor Erstaunen. Er hat sie von seiner Mutter gelernt. Die Hunde mochten die Sprache nie gehört haben, aber ihr Instinkt wußte darum. Sie bewegten ihre Schwanzstummel, gaben einige seltsame Geräusche von sich, eine Mischung zwischen Winseln und Gähnen.
    Dann setzten sie sich beide, legten sich auf die Vorderpfoten und hechelten, wie beruhigte Tiere das tun.
    Nach einer kleinen Weile bewegte Atan die Hand; das Zeichen galt mir. Ich ging in vorsichtigem Abstand an den Doggen vorbei, ohne daß sie sich rührten. Sie knurrten leise, ihr Kiefer hing entspannt herab; ich sah die Zunge zwischen den glänzenden Reißzähnen. Im Lager herrschte Schweigen; man hörte nur das dumpfe Geräusch der Maschinen; es summte anhaltend und ließ sich nicht lokalisieren.
    Atan bewegte sich schnell, immer im Schatten. Ich ging dicht hinter ihm her. Mir war nicht mehr besonders kalt, nur meine Zähne klapperten und mein Magen rumorte. Angst, dachte ich, ich hatte sie auf diese Weise noch nie erlebt.
    Auf einmal drehte sich Atan kurz um, deutete auf die mit Holz verstärkten Stufen. Die Fertigbauten der Kaderleute hatten keine Fenster; hier und da fiel ein dünner Lichtschein aus der Ritze zwischen Tür und Boden. Lautlos stiegen wir die Stufen hinauf.
    Auch bei Sun Li brannte Licht. Atan blieb vor der Tür stehen, horchte ein paar Sekunden lang. Es war eine einfache Tür aus Kunststoff. Atans Hand glitt an den Waffenhalter. Ich hörte ein metallisches Klicken. Im selben Augenblick drückte er die Klinke, öffnete mit einem Kniestoß die Tür; sie war nicht abgeschlossen gewesen. Ich trat hinter ihm in den Raum, und er schloß die Tür und drehte gleichzeitig den Schlüssel.
    Ein Mann saß im Licht
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