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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel
Autoren: Richard Dübell
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zusammenzuballen. Andrejs Mund wurde trocken. Dann trat eine weitere Gestalt hinzu. Die Kapuze wandte sich um und offenbarte das Gesicht einer jungen Frau, die den Neuankömmling anlächelte und seine Hand nahm, als er sich neben sie setzte.
    »Ein Wissenschaftler, mein Sohn«, sagte der alte Langenfels, »betrachtet jede Erkenntnis, die ihm zuteilwird, als ein neues Licht in der Dunkelheit der Ignoranz. Der Mönch jedoch – nachdem er dieses letzte Buch gelesen hatte, verstand er plötzlich, was in all den anderen gestanden hatte. Er sah das letzte kleine Licht verlöschen, das in der Dunkelheit seiner eigenen Welt brannte, das Licht des Glaubens. Als es aus war, umgab ihn Finsternis.«
    »Aber es war doch nur ein Buch?«
    »Es war eben nicht ›nur‹ ein Buch! Wer weiß, was in diesem Traktat stand, das jemand vor der Welt versteckt hatte? Vielleicht war es das, was Gott Moses verboten hatte zu schreiben? Vielleicht waren es die Erkenntnisse, die Adam festhielt, als er vom verbotenen Baum gegessen hatte? Unterschätze nie die Macht von Büchern, mein Sohn!«
    »Warum hat der Mönch seine Mitbrüder getötet?«
    »Ihnen war seine Verwandlung aufgefallen. Sie stellten ihnzur Rede, und als er schwieg, machten sie sich auf den Weg in die Bibliothek, um nachzusehen, weshalb ihn seine Studien dort so verändert hatten. Aber der Mönch wollte nicht, dass jemand das Wissen, das er erworben hatte, mit ihm teilte, und versuchte sie aufzuhalten …«
    »Vielleicht wollte er die anderen nur beschützen, damit sie nicht ebenfalls ihren Glauben verloren, Vater?«
    »Ja, Söhnchen, wer weiß? Aus guter Absicht entsteht ebenso viel Böses wie aus schlechter. Jedenfalls – es gab einen Kampf, eine Fackel fiel zu Boden, eine Ölschale wurde umgestoßen, was weiß ich – die Bibliothek fing Feuer. Alles brannte auf einmal lichterloh. Als der Mönch sah, dass er die Bücher nicht retten konnte, floh er, verschloss die Tür hinter sich und überließ seine Mitbrüder den Flammen. Sie kamen elend darin um.«
    Andrej schluckte und schüttelte sich.
    »Der größte Teil des Klosters konnte gerettet werden, aber die Bibliothek brannte völlig nieder. Der Mönch ging zu seinem Abt und gestand alles. Als Buße bat er sich aus, seine Erkenntnisse niederzuschreiben und so all das Wissen, das er aus der Bibliothek gewonnen hatte und das im Feuer verloren gegangen war, zu erhalten. Als der Vater Abt ihn fragte, worin in dieser Tat die Buße bestand, sagte der Mönch, er wolle dazu eingemauert werden. Während seines langsamen Verschmachtens wollte er das Werk schreiben, und mit seinem letzten Seufzer wollte er das letzte Wort festhalten. Dann mochten sie seine Zelle wieder aufbrechen, seinen Leichnam begraben und das Buch aufbewahren.«
    »Das ist aber schlimm«, flüsterte Andrej.
    »Ja«, sagte sein Vater. »Das war die grässlichste Buße für eine Sünde wie die seine, die man sich ausdenken konnte. Der Abt willigte ein. Doch schon am Abend des ersten Tages wusste der Mönch, dass er mit seinem Werk nie zu Ende kommen würde, bevor er starb, und er verzweifelte.«
    »Hat ihn der Abt wieder herausgelassen?«
    »Nein.«
    »Oder ihm wenigstens Essen und Trinken gegeben, damit er länger durchhielt?«
    »Andrej, der Mann war eingemauert worden. Was er drinnen tat oder was immer er rief, konnte draußen niemand hören. Sie würden die Zelle erst wieder aufbrechen, wenn so viel Zeit vergangen war, dass er mit Sicherheit tot war.«
    »Aber was konnte er denn tun, der arme Mönch?«
    Andrejs Vater lächelte kaum merklich. »Er betete.«
    »Aber …«
    »Genau. Wie konnte er beten, wenn er doch den Glauben verloren hatte? Weißt du, um sich die Zuversicht an das Gute zu bewahren, braucht man den Glauben. Um sich klarzumachen, dass es auch das Böse gibt, braucht man ihn nicht – das weiß man, wenn man auch nur ein Zipfelchen der Welt kennt.«
    »Heißt das …«
    »Ja. Der Mönch betete zum Teufel.«
    »Heilige Maria Mutter Gottes, beschütze uns vor allen bösen Geistern«, stieß Andrej hervor und klang dabei wie seine Mutter. Sein Vater verdrehte die Augen.
    »Es heißt«, sagte er schließlich, »dass der Teufel zu dem Mönch in die Zelle kam. Aber das Böse kommt ja immer schneller zu einem als das Gute, also halte ich das nicht für unwahrscheinlich. Der Teufel erbot sich, dem Mönch zu helfen und das Werk für ihn zu schreiben. Dafür wollte er noch nicht mal eine Belohnung; die Seele des Mönchs gehörte ihm ohnehin, und dass die
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