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Die Tarnkappe

Die Tarnkappe

Titel: Die Tarnkappe
Autoren: Markus Orths
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Augenklappe wurde abgenommen. Dann war sie allein. Frau Kubelik. Sie haben’s beinah geschafft. Tot ja; begraben bald.

26
    S imon machte sich auf den Weg. Es war Nacht draußen. Die Luft tat ihm gut. Zu lange Verwesung geschnuppert. Zu lange den unsichtbaren Kot der Bakterien. Sie sind ebenso unsichtbar wie ich, dachte er. Sie lösen auf, zersetzen, vernichten. Die Nacht war warm, Simon hatte Lust, sich auszuziehen und nackt durch die Straßen zu laufen. Tat es nicht, sondern rieb sich Kühle in den Kopf. Nur langsam, nur ruhig, nur eins nach dem anderen. Ein Betrunkener näherte sich, torkelte und kam direkt auf Simon zu. Simon stellte ihm ein Bein, der Mann taumelte zu Boden, blieb kurz liegen, raffte sich auf, schüttelte den Kopf, lachte, torkelte weiter. Bald erreichte Simon die Wohnung Miriam Hackethals. Im Schlafzimmer lag sie, nackt, auf dem Rücken, Beine gespreizt. Durchs offene Fenster drang entferntes Mondlicht. Simon sah alles undeutlich, aber er roch die Wölbung ihres Geschlechts und die glatt rasierten Beine, er roch die leicht zur Seite gekippten Brüste und die Haare, die ihr in der Stirn hingen. Er zog sich aus, warf ein Kleidungsstück nach dem anderen ab und kickte die Klamotten, die beim Abstreifen sichtbar wurden, unters Bett. Er stand nackt dort, fühlte sich unantastbar, ganz langsam näherte sich seine Nase Miriams Körper, schnupperte an ihren Zehen, Waden, Schenkeln. Miriam drehte im Schlaf ihren Kopf auf die Seite. Knie, schwarzer Schatten, Nabel, Brustwarzen, Hals, Lippen, auf die er blies, Miriams Hand zuckte und fiel zurück aufs Bett. Ihr Atem, den er einsog. Alles in ihm gierte danach, Miriam zu berühren. Sein Kopf glitt wieder zwischen die Schenkel, ein leiser Wind, der durch die Härchen strich und sie leicht kräuselte. Simons Zunge tupfte sacht, er wurde mutiger und öffnete mit seiner Zunge den Spalt, der so dicht vor ihm lag, während Miriams Körper sich leicht regte, immer noch unter der Schlafmaske, Simon presste seine Lippen auf die Scham der Schlafenden und verlor das Gefühl für das Maß, bis ein Schrei ihn zu sich kommen ließ, ihr Schrei. Miriam berührte mit der Handfläche die Kappe. Kurz nur. Simon zuckte zurück, Miriam tastete nach dem Lichtschalter, starrte ins Helle, fuhr sich über die Stirn, stand auf, ging ums Bett, sah auf die Stelle, an der sie gelegen hatte, ein Abdruck, als läge eine zweite Miriam immer noch dort. Simon war nur noch Tier, das in der Ecke des Schlafzimmers kauerte, maßlos erregtes Tier, das nicht wusste, wohin mit sich und seiner Erregung, er beobachtete Miriam mit Augen, die alles verspeisten, den Körper, nackt, frisch erschaffen aus der Gottesfabrik, fertig zum Verzehr. Miriam setzte sich auf die Kante des Betts, legte eine Hand zwischen die Beine, verrieb Feuchte zwischen Daumen und Zeigefinger, hielt sich die Finger vor die Nase und schnüffelte, stand auf, verließ das Schlafzimmer und kam mit einem Glas Wasser zurück. Sie stellte sich vors offene Fenster. Simon sah Schweiß auf ihrem Rücken. Er hätte sich gern auf sie gestürzt, aber er tat es nicht. Miriam hätte das nicht überlebt. Nicht den Sturz des unsichtbaren Tiers in ihren Rücken, nicht die unsichtbaren Pranken, die sie aufs Bett drückten und sich in ihre Kehle gruben, nicht den unsichtbaren Stab, der ihr Geschlecht zerriss. Miriam legte sich wieder hin. Sie ließ das Licht an. Irgendwann, nach einer Stunde etwa, schien sie einzuschlafen. Doch schon ein paar Minuten später schreckte sie wieder hoch. Sie stand auf, setzte sich in die Küche und ging nicht mehr ins Bett. Um fünf Uhr schloss sie sich im Bad ein. Sie kam heraus um sechs. Machte Kaffee, aß zwei Brote, nahm ihre Tasche und verließ das Haus. Zu früh. Sie würde eine Weile einfach so herumfahren müssen, ehe sie bei der Arbeit auftauchen konnte.
    Simon erkannte sich nicht wieder. Da war etwas Fremdes zwischen seinen Schläfen. Er hörte nicht mehr auf, sich zu befriedigen, befriedigte sich so oft, bis es ihm schließlich weh tat. Die Schmerzen wie eine Buße. Er befriedigte sich, bis er nicht mehr konnte und sich vor Erschöpfung hinsetzen musste. Es verschaffte ihm keine Lust. Er hasste in diesem Augenblick seinen Körper und hatte zum ersten Mal den Gedanken: Wenn ich ihn abstreifen könnte! Ich kann ihn nicht mehr sehen, den Körper, aber ich kann ihn fühlen. Die anderen können ihn nicht mehr sehen, aber sie können ihn fühlen. Den unsichtbaren Körper unantastbar machen! Den unsichtbaren
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