Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder (German Edition)

Schuldner, um private und öffentliche Schuldenexzesse und Wirtschaftsblasen zuvermeiden. Beide Zielsetzungen lassen sich offenkundig innerhalb des Eurosystems, so wie es jetzt konstruiert ist, nicht miteinander vereinen.
    Bislang hat die EZB das Dilemma ganz einfach dadurch gelöst, dass sie eine Randlösung verfolgt. Sie vernachlässigt die realwirtschaftlichen Fehlanreize und gewährt den Ländern mit Zahlungsbilanzproblemen zu immer niedrigeren Zinsen bei immer schlechteren Sicherheiten nahezu beliebigen Kredit aus der Notenpresse. Das führte zwar zunächst zu einer maximalen Beruhigung der Kapitalmärkte, gleichzeitig aber zu einer maximalen Verzerrung der Realwirtschaft.
    Diese Randlösung zu verfolgen war ein schwerwiegender Politikfehler, denn wenn es rivalisierende Ziele gibt, aber nicht genug separate Politikinstrumente, dann sollte man Mittelwege gehen. Die Wahl der Randlösung durch die Unantastbarkeit der Mitgliedschaft im Euro und das unbegrenzte Hilfsversprechen hat die Schuldenexzesse im privaten und öffentlichen Bereich ausgelöst, die zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit eines erheblichen Teils der Euroländer geführt haben und die sich nun für die noch soliden Länder der Eurozone als Fass ohne Boden darstellen. Dieses Problem wiegt vermutlich noch schwerer als eine mögliche Unruhe auf den Finanzmärkten.
    Der Fehler kann nur korrigiert werden, wenn man die Hilfen begrenzt und die Möglichkeit der Selbsthilfe durch einen temporären Austritt nebst offener Abwertung schafft. Deswegen ist die Neustrukturierung der Eurozone mit Regeln für eine offene Währungsunion mit einem geordneten Verfahren für den temporären Austritt und anschließenden Wiedereintritt das Gebot der Stunde. Nur so haben die betroffenen Länder überhaupt eine Chance auf wirtschaftliche Gesundung, und nur so kann die Eurozone als Ganzes ihre Zahlungsbilanzkrise überwinden.
    Neben den ökonomischen gibt es auch politische Vorteile. Es wird eben niemand ausgestoßen, keiner muss das Gefühl haben, dass ihm die Felle für immer davonschwimmen. Wenn man aufhört, den Austritt als Weltuntergang zu deklarieren, und ihn auf die Ebene der praktischen Politik zurückholt, lässt er sich beherrschen und zum Wohle fast aller Beteiligten gestalten, vielleicht mit Ausnahme des Wohles einiger Finanzinvestoren. Er würde den Zusammenhalt Europas und die Basis für das friedliche Zusammenleben seiner Völker verstärken.

DIE VEREINIGTEN STAATEN VON EUROPA  22
    Das Motto der Vereinigten Staaten von Amerika lautet De pluribus unum : »Aus vielen das Eine«. Das Motto Europas ist In varietate concordia : »In der Vielfalt die Eintracht« oder in offizieller Übersetzung: »In Vielfalt geeint«. Deutlicher könnte man die Unterschiede zwischen dem amerikanischen Modell und dem europäischen nicht ausdrücken. Amerika ist der Schmelztiegel. Aus vielen ethnischen Zutaten soll eine homogene Legierung gebildet werden. Man wandert zu, gibt die Nationalität mitsamt seiner Sprache an der Grenze ab und wird zum Amerikaner. Europa ist hingegen das über lange Zeiträume historisch gewachsene Mosaik aus unterschiedlichen Völkern und Kulturen, die sich nach einer wechselvollen Geschichte um gutnachbarschaftliche Beziehungen bemühen und über gemeinsame Traditionen im geistigen Bereich verfügen, sei es im Bereich der Wissenschaft oder im Bereich der Religion. Hier bleibt man, wo man aufgewachsen ist, man spricht seine eigene Sprache und ist der Heimat verbunden.
    Angesichts dieser Unterschiede stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, die Vereinigten Staaten von Europa überhaupt anzustreben. Viele lehnen die Vorstellung ab, weil es ihrer Meinung nach keine einheitliche europäische Identität geben könne. Ein gemeinsames Staatswesen wie in den USA setze eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Nationalität voraus. Europa könne auf absehbare Zeit deshalb nicht mehr als ein Staatenbund sein.  23
    Vielleicht ist das richtig. Vielleicht lässt sich die Idee der Vereinigten Staaten von Europa, von der wir Nachkriegskinder geträumt haben, nicht realisieren. Ich bin mir aber nicht sicher, denn für die Vertiefung der europäischen Integration und die Schaffung eines gemeinsamen Staates sprechen auch handfeste praktische Vorteile, die keineswegs eine gemeinsame Identität oder eine gemeinsame Sprache voraussetzen. Dazu gehören das Recht, sich frei über die Grenzen zu bewegen, die Freiheit des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, die