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Die Tage sind gezählt

Die Tage sind gezählt

Titel: Die Tage sind gezählt
Autoren: Ronald M. Hahn
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strahlte sein purpurnes Licht aus über die Welt und tauchte sie in Dunkelblau. Die Masse verstummte unter den Medusenaugen der Flammenzungen, lag, starrte, flehte, die Herzen voller Angst und grenzenloser Ehrfurcht, ihn verehrend, der mächtig genug war, solches zu vollbringen.
    »Heil den Göttern! Heil ihren Namen, Heil ihrem Gesandten, dem Gott des Feuerwagens, der alle acht Jahre wiederkehrt. Heil ihrer unsterblichen Macht. Heil, Heil, Heil!«
    Das Wunder war da. Der Horizont bebte und zitterte unter der Macht der Urgewalten. Erdbrocken rissen sich los und verschwanden, mitgerissen vom Feuerwagen. Mit einer Glut, die jeden zwang, die Augen zu schließen, die Hunderten das Augenlicht für immer nahm, erreichte es seinen Höhepunkt. Es war, als brenne der Himmel. Alles glich einem tosenden Flammenmeer, einer Höllenpforte, in der die knienden Gestalten eher brennenden Puppen glichen als Menschen. Giftgrüne Flammenbündel lösten sich und entfesselten ein Feuerwerk in der Menge.
    Dann wurde das unerträgliche Licht schwächer und schwächer, bis es nur noch ein erlöschendes Flackern war, ein klägliches Überbleibsel dessen, was zuvor die Menschheit in ihrem tiefsten Innern bewegt hatte. Der Götterwagen war verschwunden und würde erst nach acht Jahren wieder erscheinen, und mit ihm auch das Wunder.
    Die Masse erhob sich, letzte Dankgebete verklangen. Die Menschheit stand auf und ging; erleichtert, die Seele gereinigt. Und jeder war wieder jedem fremd.
    Viele blieben liegen und sollten nie wieder aufstehen. Sie waren dem Götterwagen gefolgt und würden ihn von nun an begleiten auf seinem Weg durch das allesumfassende Nichts, auf seiner ewigen Reise zwischen den Sternen. Glücklich waren die, die von den Göttern für diese erhabene Rolle als Diener auserkoren worden waren und nichts als ihr ärmliches, weltliches Leben dafür geben mußten. Niemand rührte einen der Leichname an. Sie waren heilig. Erst wenn sie zu Skeletten geworden waren, räumte man die Überbleibsel ihrer Sterblichkeit hinweg.
    In den kommenden Tagen und Monaten würden noch viele dem Götterwagen folgen. Das bedeutete, daß die Götter zu wenig Diener auserkoren hatten. Die Spätnachfolger folgten ihnen unter heftigen Schmerzen, und ihre Körper zerfielen zu Staub. Die Schmerzen reinigten sie vor der großen Reise.
    Ich stand oben auf meinem Hügel und blickte hinunter auf die grauen Flecken, auf die Haufen menschlicher Leichname, die sich nie mehr bewegen würden. Sie lagen da mit offenen Mündern und Augen. Insekten krochen in ihre staubbedeckten Münder.
    Und irgendwo, weit entfernt im All, zog der Götterwagen seine ellipsenförmige Bahn, wie ein Komet, der alle acht Jahre wiederkehrt und durch die Erdatmosphäre rast: eine teuflische, metallene Höllenmaschine, wie sie nur der Mensch erfinden kann. Ein Satellit, einer Bahn folgend, die lange außer Gebrauch war; Aufträge ausführend, die lange nicht mehr nötig waren. Doch ein Elektronengehirn vergißt nichts. Sich selbst versorgend befolgt es die Befehle, die es einst bekommen hat. Gott allein weiß, wie lange schon. Und alle acht Jahre kehrt der tödliche Gott zurück, durchbohrt die Atmosphäre und feuert über dem Äquator seine tödliche Energie ab, auf eine Welt, die vor seinen Energiekanonen kniet und ihn anbetet.
    Er wird noch lange seine Bahn durch das All ziehen, an den Planeten vorbei und wieder zurück, sich jedesmal mit mehr Energie aufladend. Das Gehirn wird weiterhin seinen programmierten Anweisungen gehorchen, und die Kanonen werden nicht aufhören zu feuern, bis eines Tages nichts mehr da ist, auf das sie feuern könnten. Und dann wird das Wunder über einer vernichteten, ausgerotteten Welt geschehen.
    Aber selbst dann wird die Maschine nicht aufgeben. Niemand kann sie vernichten. Ich selbst habe es einmal versucht und wäre deshalb fast mit meinen Büchern und Mikrofilmen verbrannt worden. Seitdem schweige ich. Es gibt nichts, was ich noch tun könnte.
    Vielleicht sehen es die echten Götter – falls es welche gibt – mit Ironie, daß sich der Mensch seinen eigenen Mörder konstruiert hat, um ihn dann als Gottheit zu verehren.
    Ich blickte auf meinen Geigerzähler und stellte fest, daß die Strahlung stärker wurde; weit stärker als in den Jahren zuvor. Sie würde noch weiter ansteigen. Immer mehr und mehr, bis die Landschaft eine einzige kochende und radioaktive Masse war, gefüllt mit Skeletten und beleuchtet von einer blutenden Sonne.
    Mir wurde plötzlich
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