Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tage sind gezählt

Die Tage sind gezählt

Titel: Die Tage sind gezählt
Autoren: Ronald M. Hahn
Vom Netzwerk:
nur!«
    »Wie dir selbst, ja.«
    »Ich gleiche jedem !«
    Die Polizisten lachten. »Willst du etwa behaupten, du sähest auch uns ähnlich?«
    Mijnheer Tiennoppen sah in die lachenden Gesichter. »Ich gleiche nur dem, der gerade abwesend ist.«

    Der Kommissar spielte mit einem eisernen Lineal, das er stets zwischen zwei andere Finger seiner Hand gleiten ließ. Mit Zunge und Zähnen pfiff er leise ein Kinderlied: »Ra-ra-ra, wer hat den Ball, den schönen Ball aus Gold?«
    Von einem Hauptwachtmeister bewacht saß Mijnheer Tiennoppen auf einem Stuhl vor seinem Schreibtisch und blickte gebannt auf die Fotos im Fahndungsbuch, das auf dem Tisch lag. Die Ähnlichkeit war tatsächlich verblüffend. Alle schwiegen.
    Etwas später ging hinter ihm die Tür auf und jemand kam herein. Der Kommissar stand auf. »Sind Sie Mevrouw Tiennoppen?«
    »Ja, mein Herr«, hörte Mijnheer Tiennoppen die Stimme seiner Frau sagen.
    »Mevrouw Tiennoppen, ist dies Ihr Mann?« fragte der Kommissar, während der Hauptwachtmeister ihn vom Stuhl hochriß und sein Gesicht der Frau zudrehte.
    »Der?« Mit hochgezogenen Augenbrauen und verneinendem Kopfschütteln sah seine Frau ihn an. »Nein.«
    Aber das wunderte ihn schon gar nicht mehr. Er fühlte nur den Boden, die Welt, sich selbst versinken und schwieg. Wer, ja wer, sagte ihm denn, daß er kein Verbrecher war? Wer, daß er wohl einer war?
    »Ha!« rief der Kommissar triumphierend. »Haha! Du gleichst also jedem, Mijnheer Tiennoppen , dir selbst aber anscheinend gar nicht!« Er sah ihn auf sich zukommen, das Lineal zum Schlag erhoben. Er schrak nicht zurück.
    Er schrak nicht zurück.
    Fieberhaft arbeitete sein Gehirn.
    Mir kann gar nichts passieren, redete er sich selbst überzeugend ein, denn – ich bin abwesend.

    Übersetzt von Siegfried Mrotzek

Eddy C. Bertin
Der achtjährliche Gott
    Die ersten Vorzeichen des großen achtjährlichen Wunders zeigten sich um zehn Uhr abends. Das war mehr als eine halbe Stunde eher als beim letztenmal. Vor acht Jahren hatte es genau um halb elf und sechzehn Jahre zuvor um elf Uhr begonnen.
    Trotz des noch klaren Himmels tanzte ein schwaches, purpurnes Licht über den gelbweißen Wolkenbänken des Horizonts. Nach einiger Zeit begannen grüne Blitze die Zeichen der Luft zu zerreißen. Am Horizont erschienen da und dort flammende Feuerzungen. Die Menschen zitterten und warteten, ängstlich und doch neugierig auf die Bestätigung der göttlichen Macht. Auf das Wunder.
    Es war nun halb elf. Der Himmel hatte sich verfinstert, und ein leichtes Grollen hing in der Luft: die Vorboten des achtjährlichen Gottes. In den Tälern, auf den Hügeln und den höchsten Berggipfeln von Djikai hatten sie sich zu einer wimmelnden Menschenmenge vereinigt. Es war kein Gras mehr zu erkennen, nur noch ein einziges, großes, schwitzendes und atmendes Menschenwesen. Zu Hunderttausenden waren sie gekommen, aus den benachbarten Staaten Pilzivja, Montbeca und Jesusnivba, aus der weiter entfernten Republik U. V. B., aus den Vereinigten Tectbonstaaten und aus Amicianan, aus Corpijo am früheren Indischen Ozean und aus Costai am Atlantik.
    Mit ihren kilometerlangen Tausendradwagen, gezogen von mutierten zwanzigbeinigen Spinnen, kamen die Albinos aus dem vorderen Polargebiet. Sie waren Monate unterwegs gewesen, und nur einmal, alle acht Jahre kamen diese achtarmigen Weißhäutler aus ihren vom Eis eingeschlossenen Städten zum Vorschein, um zusammen mit der übrigen Welt die Götter zu preisen und anzuschauen in ihrer Glorie. Die froschartigen Australier kamen in luftdichten Anzügen, innen mit Wasser gefüllt, aus ihren Unterwasserstädten. Die Edle Klasse der Aumilosen kam in schwerkraftlosen Wagen, gemeinsam mit den niedrigsten Arbeiterklassen, um die Güte der Götter zu besingen. Die Menschheit war an diesem Tage eins.
    Einmal in acht Jahren versammelte sich auf der Erde alles, was noch lebte, so wie auch jetzt, an diesem 23. Oktober des Jahres 3042. Gemeinsam wartete die Menschheit – und auch das, was nicht ganz Mensch war – auf das Wunder in der Äquatorzone. Danach würde sich jedes Volk wieder in seine Zone zurückbegeben, sich von den anderen absondern und erst nach weiteren acht Jahren hierher zurückkehren.
    In hohen Kuppeln hatten sich die berühmtesten Magier versammelt, um die bösen Geister während des Wunders zu besänftigen. Sie waren ebenfalls dazu da, den Göttern im Namen aller die Hingabe der Menschheit zum Ausdruck zu bringen, so wie sie es immer getan hatten,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher