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Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Titel: Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
Autoren: Liz Nugent
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andere von ihm dachten, war ihm ziemlich egal.
    Eugene und ich haben uns prächtig verstanden. Also, wenn Sie mich fragen, er ist schon ein feiner Kerl. Ein großes, glückliches Kind im Körper eines Erwachsenen, immer am lächeln. Natürlich konnte es auch mal schwierig werden mit ihm, wenn er tanzen wollte zum Beispiel. Eugene hat gern getanzt, am liebsten vor Publikum: auf der Straße, während der Messe, im Supermarkt. Die meisten Leute wussten aber, dass er harmlos war. Ein harmloser Idiot, der Herr stehe ihm bei. Wir hatten ein Spiel, wir beide – er ist auf seinem Lieblingsstuhl gesessen, und ich habe mich von hinten an ihn rangeschlichen, ihn unter den Armen gepackt, und dann haben wir so getan, als würden wir durchs Wohnzimmer fliegen. Er hat dieses Spiel so sehr geliebt, dass er es andauernd wiederholen wollte, und wissen Sie was? Es war die reinste Freude, so mit ihm zu spielen und sein Lachen zu hören. Und da braucht es ganz schön Kraft, das kann ich Ihnen sagen, denn Eugene war kein Leichtgewicht.
    Wenn Eugenes Bettzeit kam, gab es bei den O’Reillys ein schönes Ritual. Für uns eine Kanne Tee, für Eugene ein Glas Milch, und ein Teller mit Butterbroten machte die Runde. Nach dem Abwasch wurde noch der Küchentisch geschrubbt, und dann ging’s ans Beten. Wir knieten um den Tisch herum und haben den Rosenkranz aufgesagt. Danach hat Alice Eugene etwas vorgelesen, meistens ein Märchen oder irgendwelche Kinderreime. Sie konnte wunderbar vorlesen, hat die Figuren mit verschiedenen Stimmen zum Leben erweckt. In mir hat sie bestimmt einen ebenso guten Zuhörer gehabt wie in Eugene.
    Nach einer Weile hat Mam angefangen mir Fragen zu stellen. Ob mir das mit Alice ernst sei? Ob ich wüsste, worauf ich mich da einlasse? Ich glaube, sie hat es nur gut gemeint, trotzdem haben wir uns ein paar Mal in die Haare gekriegt. Schließlich war es meine Sache. Mam fand es gut, wenn ich Alice ab und an mal ausführte, zu Kaffee und Kuchen, aber ich solle nicht vergessen, dass sie nach dem Tod ihrer Mutter ganz allein für Eugene verantwortlich wäre. Wenn ich sie heiratete, würde ich für beide sorgen müssen. Ich war längst zu dem Schluss gekommen, dass das kein Problem für mich wäre. Mittlerweile liebte ich Alice wirklich, und wenn ich Eugene noch mit dazubekam, fand ich das eigentlich eher einen Pluspunkt.
    Darüber gesprochen hatten wir nie wieder, aber ich bin davon ausgegangen, dass wir ein stilles Einverständnis hätten. Wir waren seit über einem Jahr zusammen. Doch ich hatte nicht mit Oliver gerechnet. Hätte ich Oliver auf dem Zettel gehabt, könnte Alice hier noch gesund und munter herumlaufen.

III
    MICHAEL
    Es ist bestimmt fünf Jahre her, seit ich Oliver Ryan zuletzt gesehen habe. Oder Vincent Dax, wie er ja besser bekannt ist. Ich habe seine Erfolgsstory in den Medien verfolgt, aber die Nachricht, dass er letzten November seine Frau ins Koma geprügelt haben soll, hat mich kalt erwischt. Es heißt, dass Alice vielleicht nie wieder zu Bewusstsein kommt.
    Oliver und ich lernten uns 1971 am University College in Dublin kennen. Wir haben beide Geisteswissenschaften studiert und hatten Englisch und Französisch zusammen. Oliver war auf poetische Weise schön; genau der Typ, den ich mir stundenlang anschauen könnte. Natürlich hätte ich mein Augenmerk stattdessen auf die Mädchen richten sollen, aber irgendwie ticke ich eben anders.
    Oliver blieb meistens für sich. In den Französischvorlesungen saß er hinter mir, und hin und wieder tauschten wir unsere Aufschriebe. Näher kennen gelernt habe ich ihn eigentlich erst gegen Ende des zweiten Studienjahres. Aber weit kam man bei Oliver nicht, irgendwie blieb alles immer an der Oberfläche. Ich kann mich zum Beispiel nicht erinnern, dass er jemals seine Familie erwähnt hätte. Bis heute könnte ich nicht sagen, ob er Geschwister hatte oder nicht. Komisch eigentlich, dass man jetzt so viel über ihn in den Nachrichten hört und doch so wenig über ihn weiß. Niemand von uns ist je zu ihm nach Hause eingeladen worden. Er strahlte stets eine gewisse Distanz aus, die alle Fragen nach seinem Privatleben im Keim erstickt hat. Oliver war uns allen ein Rätsel – was seiner Attraktivität keinen Abbruch tat, im Gegenteil. Zusammen mit dem blendenden Aussehen und seinen tadellosen Manieren sicherte ihm das die geballte Aufmerksamkeit der Damenwelt, nicht zuletzt die meiner kleinen Schwester Laura.
    Laura war ein Jahr unter uns und der strahlende Stern ihres
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