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Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer
Autoren: blazon
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einen Auftrag zu vergeben hatte!
    Die junge Frau, die eben den Auftrag angenommen hatte, schob sich nach vorn. Die Taucher, die Amber vorher gesehen hatte, waren ihr bereits schön wie seltene Meereswesen erschienen, aber dieses Mädchen hier übertraf sie alle bei Weitem. Verglichen mit ihr kam sich Amber vor wie ein grober Kaminscheit neben einer polierten Skulptur aus Marjulaholz. Weißblonde, wilde Locken streiften Ambers Schulter. Sie dufteten nach Meer und Seeluft, im Haar hatte sich ein getrocknetes Stück Tang verfangen.
    »Geh doch zur Seite«, fuhr die Taucherin Amber an. Hellblaue Augen blitzten auf und Amber blickte in ein schmales, vollkommenes Gesicht. Es gab ihr einen Stich – das Mädchen war alles, was Amber je sein wollte.
    Vor Sumal Baji blieb das Mädchen stehen. Ihre braun gebrannten Schultern glänzten im Licht, das durch die hohen Fensterbogen fiel. »Wir fischen die Truhen aus dem Graben«, sagte sie zu der Kapitänin. »Wenn du uns ein Boot gibst. Meines ist gestern gesunken.«
    »In Ordnung. Low wird euch ein Boot geben. Groß ist es nicht, nehmt in jedem Fall ein Floß mit. Und holt mir alles aus dem Graben, was ihr von der Ladung finden könnt!«
    Die Taucherin nickte. Amber fragte sich, was für ein Boot sie verloren haben mochte.
    »Und wenn ihr meine Jontar findet, erhaltet ihr als Belohnung noch einmal zwanzig Dantare!«, fügte Sumal hinzu.
    Eine alte Fischerin hob protestierend die Hände. »Augenblick, Sumal. Die Jontar ist nicht so wichtig wie die Handelsschiffe. Und die sind weniger wichtig als die Toten.«
    Die Kapitänin fuhr herum. »Das weiß ich! Glaubst du, ich würde sonst meine restlichen Schiffe für die Bergung der Toten und Schiffbrüchigen zur Verfügung stellen, statt damit selbst nach meinen Handelsgütern zu suchen?« Sie wandte sich wieder an die Taucherin. »Nur wenn ihr die Jontar seht, Sabin. Verschwendet keine Zeit damit, sie zu suchen. Wie viele seid ihr?«
    »Sechs«
    »Ruderer?«
    »Drei.«
    »Nur drei? Vier wären besser.«
    Andere Leute drängten bereits wieder zu den Kapitänen und den Händlern, die Aufträge für die Bergungsarbeiten vergaben. Amber wurde zur Tür geschoben, nur von ferne sah sie noch einmal Sabins helle Locken aufleuchten. Wildes Haar – Amber konnte sich vorstellen, wie es unter Wasser das nixenschöne Gesicht umschwebte. »Sabin«, formte sie den Namen der Taucherin mit den Lippen. Ein Name wie Welle und Schaum. Sabin gehörte nicht nur zu Dantar – sie war Dantar!
    Auf dem Platz draußen war das Gedränge noch dichter geworden. Wie ein schneeweißer Fels ragte das Haus des Fischerkönigs aus einer Brandung von bunt gekleideten Menschen. Harpunenspitzen blitzten im Morgenlicht auf. Erst als eine Gruppe von durchnässten Leuten auf den Platz kam, teilte sich die Menge und gab einen Platz in der Mitte des Hofes frei. Die Träger schleppten je zu zweit ein Holzbrett heran. Und auf den Brettern lagen, in Segeltuch gehüllt, Körper. Die nassen Tücher zeichneten Schultern, Brüste, Hüften und Knie nach, sogar Gesichter konnte man unter den Masken aus Stoff erahnen. Einige Leute lösten sich aus der Menge und stürzten zu den Bahren. Amber wurde ganz flau im Magen. Die Hallgespenster krochen gierig zischend von den Häusern und ahmten das Weinen und Klagen der Leute nach, die die Segeltücher anhoben und die Toten in die Arme schlossen. Zwei Navigatoren versuchten vergeblich die Hallgespenster zu verscheuchen.
    »Gelnir! Er hat dich ertrinken lassen«, schluchzte eine Frauenstimme direkt in Ambers Ohr. Sie schlug nach der schattigen Gestalt eines Hallgespensts und schauderte, als ihre Hand durch kühlen Rauch fuhr. Die roten Laternenaugen funkelten sie höhnisch an.
    »Er ist verletzt«, klagte dasselbe Hallgespenst nun mit heiserer Männerstimme. »Seht nur, er ist erschlagen worden! Mein Sohn!«
    »Erhängen!«, zischte eine Stimme. »Ertränken ist zu gut für das Pack!«
    Amber dachte, dass ein Hallgespenst diese Worte gesprochen hatte, aber es war ein Fischer, der mit einigen anderen unter dem Balkon des Gebäudes stand. Die Leute rückten nach, Amber sah geballte Fäuste und aufgerissene Münder. Erst als sie mit dem Blick einer ausgestreckten Hand folgte, begriff sie, warum die Menge plötzlich so aufgebracht war: Auf dem Balkon des Hauses, in dem der Fischerkönig residierte, standen drei Gefangene. Wunden und Prellungen in ihren Gesichtern zeigten, dass sie übel zugerichtet worden waren. Sie waren gefesselt. Amber schluckte
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