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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
Autoren: Max Landorff
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kleinen Prospekt über Hundeschlittentouren in Nordschweden, eine ausgedruckte Buchungsbestätigung für einen zweitägigen Ausflug mit Adventsfeuer vom 30. November bis 1. Dezember auf den Namen Gabriel Tretjak. Und es enthielt ein mit Füller beschriebenes Blatt Papier. Dickes Papier mit Wasserzeichen, die Handschrift war klar und leserlich. Tretjak las:

    Lieber Bruder,
wir müssen reden. Der Zeitpunkt ist da. t 0 = JETZT.
Luca.

    Er faltete das Papier zweimal zusammen und steckte es in die Innentasche seiner Jacke. Dann blickte er über den See, der in diesem Licht und diesem Augenblick aussah wie eine große schneebedeckte Ebene in Nordschweden. So jedenfalls schien es Gabriel Tretjak. t 0 , das war der Ausdruck der Physiker für den Zeitpunkt eines Ereignisses, ausgesprochen »T null«. Welterlin hatte immer wieder von t 0 gesprochen und damit den Zeitpunkt gemeint, an dem das große Experiment ablaufen sollte. Zu einer sekundengenau festgelegten Zeit desselben Tages, an dem Tretjak Hundeschlitten fahren sollte: 1. Dezember.
    Zu Tretjaks Überraschung ergriff Luigi plötzlich das Wort.
    »Du musst hinfahren«, sagte er. »Es ist höchste Zeit, du musst ihn treffen und mit ihm sprechen.«
    Für Luigis Verhältnisse war das eine Art Monolog. Tretjak fragte sich, warum er sich hier einmischte. Ausgerechnet er, dessen große Stärke es war, sich so lange wie möglich aus Dingen herauszuhalten. Wie viel wusste Luigi? Was hatte sein Vater mit ihm geredet, als er noch hier in diesem Haus gelebt und bei ihm unten Pizza gegessen hatte?
    Tretjak antworte Luigi nicht. Und so saßen sie noch eine ganze Weile nebeneinander auf der Bank. Erst als es schattig wurde, weil die Sonne hinter den Bergen verschwand, legte Luigi seine schwere Hand kurz auf Tretjaks Schulter, erhob sich, zog den Reißverschluss seines Anoraks zu und verstaute seine Sonnenbrille in einer der Taschen. Er sah Tretjak in die Augen, nickte und wiederholte es noch einmal: »Du musst hinfahren.«

    Kurze Zeit später tauchte seine Gestalt wieder in Tretjaks Blickfeld auf, diesmal auf dem Weg nach unten. Luigi drehte sich nicht nach ihm um.

Donnerstag, 30. November
    (t 0 minus 1)
    Es schneite so stark, dass die Scheibenwischer des Landrovers die Menge nicht bewältigen konnten. Per, der Hundeführer, musste immer wieder anhalten, aussteigen und den angehäuften Schnee mit den Händen von der Motorhaube und der Windschutzscheibe schieben. Sie waren auf dem Weg zur Schlittenstation im Sånfjället-Nationalpark. Es war vier Uhr nachmittags, aber schon dunkel. Tretjak hatte die Flugreise nach Oslo und eine fünfstündige Busfahrt hinter sich, aber er war nicht müde. Er wusste von der Karte, dass sie gerade am Lofsjön vorbeifuhren, einem langgestreckten See, der wie ein Riss in der Landschaft lag. Aber zu sehen war nichts von ihm – bei der Dunkelheit, dem Schneetreiben und den beschlagenen Scheiben im Fond des Landrovers.
    Alles Wesentliche war bereits besprochen. Er würde heute Abend noch seine sechs Hunde kennenlernen. Eine Einweisung bekommen, wie man ihnen das Geschirr anlegte. Morgen früh um sechs Uhr würden sie dann mit zwei Schlitten starten, Per mit seinem voraus, Tretjak ihm folgend. »Keine Sorge«, hatte Per gesagt, »die Hunde bleiben in meiner Spur.« Nur reden sollte er mit ihnen, während er hinten auf dem Schlitten stand, viel reden. Kontakt aufnehmen zu den Hunden, hatte Per gesagt, das war das Wichtigste. Den ganzen Tag würden sie unterwegs sein, am Nachmittag die Hütte erreichen. Luca würde schon in der Hütte sein, wenn sie ankämen. »Das ist gut«, hatte Per gesagt. »Dann brennt schon Feuer im Ofen. Und vielleicht steht schon Essen auf dem Tisch.« Am übernächsten Tag würden sie dort wieder abgeholt werden und gemeinsam zur Station zurückfahren.
    Ihr Startplatz morgen früh war ein zugefrorener See, direkt neben der Schlittenstation und der kleinen Pension, wo Tretjak die Nacht verbringen konnte.
    Seine Tasche stand neben ihm auf dem Rücksitz, sie enthielt die empfohlene Ausrüstung. Fleeceunterwäsche doppelt und dreifach, Fingerhandschuhe und Fäustlinge zum Drüberziehen, Socken doppelt und dreifach, Daunenanorak, Mütze, Schal. Die Spezialschuhe und den Overall, den man schließlich noch über alles andere zog, würde er von Per bekommen. Tretjak fragte sich nicht, warum Luca einen so beschwerlichen Weg gewählt hatte, um ihn zu treffen – nach all den vielen Jahren. Er fragte sich gar nichts, was Luca betraf.
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