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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
Autoren: Max Landorff
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Klinik.«

Teil 5
    t 0
    Freitag, 24. November
    (t 0 minus 7)
    Die beiden Hortensienbüsche hatten schon lange keine Blätter mehr, aber die großen Blüten hingen noch trocken in den Zweigen. Braunviolette Kugeln als letzter Schmuck des Herbstes.
    Gabriel Tretjak saß auf der Holzbank, die direkt vor seinem Haus stand. Er hatte die Mauer im Rücken, die Büsche rechter Hand und den See vor sich. Eine silbern glitzernde Fläche mit weißen Lichtlinien von der tiefstehenden Sonne. Tretjak hatte sich in eine dunkelgraue Wolldecke gehüllt. So saß er schon seit dem Vormittag da, so hatte er auch gestern fast den ganzen Tag dagesessen und den Tag davor auch. Die Stunden zogen an ihm vorbei wie Landschaften an einem Zugfenster. Er fühlte sich vollkommen körperlos in diesen Tagen, und seine Gedanken schienen in so tiefe Regionen abgesunken zu sein, dass er keinen rechten Zugriff darauf hatte. Manchmal fiel sein Blick auf seine Handgelenke, auf die roten Stellen, verursacht von den Fesseln oder von den Stromschlägen oder von beidem.
    Die Polizei hatte ihn gleich ins Krankenhaus gebracht, wo man ihn an einen Tropf gehängt hatte. Er war untersucht worden, er war vernommen worden, und er war schließlich nach zwei Tagen auf seinen Wunsch hin hierher nach Maccagno gebracht worden. Von einem zum Glück sehr schweigsamen Polizeifahrer am Steuer eines Wagens, der eine Mischung aus Kombi und Geldtransporter gewesen war. Der Fahrer hatte am rechten Ohr einen Ohrring gehabt, mehr hätte Tretjak nicht über ihn sagen können.
    Alles in Ordnung, hatten die Ärzte gesagt. »Sie brauchen jetzt Ruhe, viel Ruhe.« Alles klar, hatte die Polizei gesagt. Keine Fragen mehr. »Wir fahnden nur noch nach Sennes Handlangern.« Kommissar Maler hatte er nicht mehr getroffen. Er sei gesundheitlich sehr angeschlagen, hatte es geheißen. Eine erneute Herztransplantation würde unmittelbar bevorstehen.
    Stefan Treysa hatte Tretjak im Krankenhaus besucht. Er hatte nicht viel geredet, aber seinen Besuch in Maccagno angekündigt. »Wenn du dich etwas erholt hast. Wir haben einiges zu besprechen.« War heute der Tag, für den er sich angekündigt hatte? Oder morgen? Tretjak beschloss, ins Haus zu gehen und im Kalender seines Handys nachzusehen. Aber nicht jetzt. Jetzt erst noch sitzen bleiben. Später. Er hatte Zeit. Wenn er von etwas wirklich genug hatte, dann war es Zeit.
    Er dachte an die Physikerin. Nur noch sieben Tage bis zu dem Experiment, bei dem sie nach einem Teilchen suchte, das die Zeit umkehren konnte. »Higgs Singlet« hieß dieses Teilchen, und Tretjak wunderte sich, dass ihm der Name sofort einfiel. Er hatte schon vor Tagen eine lange E-Mail von Sophia Welterlin erhalten. Er hatte sie bis jetzt nur überflogen. Soweit er das verstanden hatte, arbeitete sie wieder im Institut, ihre Wohnung war frisch gestrichen. Sie schrieb von Luigi, und das Wort »Danke« hatte er auch gelesen – und auch die schönen Grüße von ihrem Mitarbeiter Kanu-Ide, der sein altes Auto restaurieren ließ. Tretjak würde die E-Mail bald genauer lesen und dann antworten. Aber nicht jetzt. Jetzt würde er erst noch hier sitzen bleiben. Die Luft war in der Sonne immer noch 14 Grad warm, aber sie roch nach dem Schnee, der oben in den Bergen schon gefallen war. Die Gipfel rund um den See waren alle weiß.

    Luigi stapfte wie ein kleiner Bub den Weg hoch. Er hob die Füße zu hoch und ruderte mit den Armen. Tretjak hatte ihn noch nicht oft laufen sehen, jedenfalls nicht eine so lange Strecke und nicht bergauf. Er trug einen dunkelblauen Anorak und eine tiefschwarze Sonnenbrille. Tretjak hatte ihm bestimmt schon eine ganze Minute zugesehen, ehe er begriff, dass dieser Mann Luigi war und dass er ganz offensichtlich auf dem Weg zu ihm war. Das war völlig neu. In der Vergangenheit war die Bewegungsrichtung immer umgekehrt gewesen, wenn sich die beiden Männer getroffen hatten. Tretjak hatte sich auf Luigi zubewegt. Die Gestalt des Gastwirts verschwand jetzt aus Tretjaks Blickfeld und tauchte kurz nach dem Klingelgeräusch der Pforte direkt vor ihm wieder auf. Luigi atmete schwer und setzte sich ohne zu fragen neben Tretjak auf die Bank. »Schönes Wetter«, sagte er nach einer Weile. Dann öffnete er seinen Anorak und holte ein Kuvert hervor. Tretjak sah, dass es mit Füller beschrieben war, und er sah seinen Namen und den Zusatz c/o Ristorante Pescatore .
    Luigi reichte ihm das Kuvert ohne Worte, und Tretjak öffnete es gleich an Ort und Stelle. Es enthielt einen
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