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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
Autoren: Max Landorff
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aber doch so laut war, dass man ihn überall gut hören konnte. Der Ton überraschte Tretjak in dem kleinen Schuppen, wo er seine Motorsäge aufbewahrte.

    Als er zurück zur Veranda kam, stand die Frau mit dem Strohhut bereits dort. Sie hatte ihre Sonnenbrille abgenommen und schaute ihn aus auffallend dunkelblauen Augen an.
    »Sie sind Gabriel Tretjak, nicht wahr?«, sagte sie mit dem unverkennbaren Akzent der Schweizer. Und fügte ein freundliches »Guten Morgen« hinzu. Ihr Blick schwenkte einmal über den Garten zum See. »Schön haben Sie es hier.«
    Tretjak fiel auf, dass sie keine einzige Schweißperle auf der Stirn hatte und ihr Atem völlig normal war.
    »Sind Sie Hochleistungssportlerin?«, fragte er.
    »Nein«, sagte sie, »aber ich bin in Zermatt geboren und aufgewachsen, am Fuß des Matterhorns, 16oo Meter hoch.« Sie lachte, und Tretjak sah, dass sie eher fünfzig war, vielleicht sogar älter. »Ich heiße Sophia Welterlin«, sagte sie und schaute zu der Bank und dem Tisch. »Ich muss mit Ihnen reden, Herr Tretjak. Darf ich mich setzen?«
    Tretjak nickte nur, stellte seine Motorsäge auf den Boden. Früher hätte er dieser Frau ein paar klare Fragen gestellt und sie entweder schnell abgewiesen oder höflicher empfangen. An seinem fast schon unbeholfenen Benehmen erkannte er, dass sein Eremitenleben nun schon eine ganze Weile andauerte.

    Als sie sich am Tisch gegenübersaßen, sagte Sophia Welterlin: »Ich komme aus der Nähe von Genf, und ich bin hier, weil ich Ihre Hilfe brauche. Die Hilfe des Reglers.«
    Hätte ihn vorher jemand gefragt, wie er darauf reagieren würde, auf die Erwähnung seines früheren Lebens, auf die Bezeichnung für seinen Job, die nur wenige überhaupt kannten, er hätte etwas anderes vorhergesagt. Dass er sich freuen würde vielleicht, weil wieder irgendjemand irgendetwas von ihm wollte. Oder das Gegenteil, dass mit diesem einen Wort alles wieder hochkäme, der Hass, die Angst, die Verletzung, der ganze Wahnsinn, der abgelaufen war. Stattdessen empfand Gabriel Tretjak gar nichts. Er sah die Sommersprossen auf den Wangen dieser Frau, den blauen Himmel hinter ihr, den noch blaueren See unter ihr. Und er sagte: »Den Regler gibt es nicht mehr, Frau …«
    »Welterlin.«
    »Frau Welterlin.«
    Es entstand eine kurze Pause, dann sagte sie: »Wäre es zu viel verlangt, wenn Sie mir einen Kaffee anbieten würden?«
    Tretjak lächelte und stand auf. In der Tür zur Küche drehte er sich um. »Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich noch nie in meinem Leben einen fremden Menschen zu mir nach Hause zu einem Kaffee eingeladen habe?«
    »Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, sagte sie ernst. »Ich weiß, dass Sie nicht der Typ dafür sind. Ich weiß ziemlich viel über Sie.« Und ohne dass er sie darum gebeten hatte, begann sie zu reden.
    Er stand am Herd, mit dem Rücken zur offenen Tür, hantierte wieder mit der Espressokanne und hörte ihr zu, wie sie sagte, was sie sagte. Dass er viele Jahre sehr viel Geld damit verdient habe, das Leben anderer Menschen zu regeln. Dass er mit diesem Geschäft in einer Grauzone unterwegs gewesen sei, rechtlich und moralisch. Und dass schließlich alles ein Ende gefunden habe mit einer Serie von Morden. Verübt, um Rache zu nehmen – an ihm.
    »Ich habe das damals nicht verfolgt«, hörte er sie sagen. »Wissen Sie, ich interessiere mich nicht sehr für Verbrechen, und wir in der Schweiz sind sowieso immer etwas ab vom Schuss. Aber jetzt habe ich es alles noch mal nachgelesen. Sowohl die Münchner Kriminalpolizei als auch Sie selbst gingen eine Weile davon aus, dass Ihr Vater der Täter war, bis dann die Wahrheit ans Licht kam, die für Sie vielleicht noch schlimmer war.« Sie sagte noch etwas von dem Verständnis, das sie dafür habe, dass er sich so zurückgezogen hatte.
    Der Kaffee war fertig, Gabriel Tretjak drehte das Gas am Herd ab. Immer wenn er das tat, jedes Mal, ohne Ausnahme, auch jetzt, dachte er wieder an das erste Mal damals im Haus. Wie Fiona beschlossen hatte, Kaffee zu kochen, und den kleinen gelben Gashahn unter der Spüle aufdrehte. Wie er das aus den Augenwinkeln bemerkt hatte. Dass sie diesen Hahn gefunden hatte, so schnell, so sicher. Zu schnell, zu sicher. Er wusste noch genau, dass sein Gehirn in diesem Moment gezögert hatte, wie ein Läufer an einer Weggabelung. Habe ich das gerade bemerkt? Oder habe ich es nicht bemerkt? Hier in dieser Küche hatte sie den Gashahn geöffnet und danach das Fenster. Und dann hatte sie etwas
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