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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
Autoren: Max Landorff
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hinaus auf die Veranda.
    Zum ersten Mal hatte Tretjak diese Veranda am Tag der Beerdigung seines Vaters betreten. Das war schon über ein Jahr her. Von hier aus war er ins Haus gelangt, mit den Schlüsseln, die ihm die Polizei ausgehändigt hatte. Sprachlos und wie in Trance hatte er in den kargen Überresten des Lebens seines Vaters herumgestanden, im letzten Zuhause des Mannes, den er so gehasst hatte. Damals hatte er gedacht, nun sei alles vorbei, nun könne er neu beginnen. Wie froh er gewesen war, dass er nicht allein hatte herkommen müssen. Dass Fiona ihn begleitet hatte. Fiona …
    Vor Weihnachten war er dann noch einmal von München aus hierher an den Lago Maggiore gefahren. Eigentlich nur, um den Makler zu treffen, der das Haus für ihn verkaufen sollte. Und vielleicht noch, um den ein oder anderen Gegenstand mit zurückzunehmen. Vielleicht. Vergangenheit aufzuheben war noch nie seine Sache gewesen. Und diese hier schon gar nicht.
    Das Besondere an dem Haus war, dass es an einem alten Eselsweg lag und nur zu Fuß zu erreichen war. Den winzigen alten Geländewagen seines Vaters entdeckte Tretjak erst später unter einer Plane. Als er damals vor Weihnachten oben angekommen war, hatte er drei Fehler gemacht. Zuerst hatte er sich auf die Veranda gesetzt, um zu Atem zu kommen. Er hatte über den See geblickt und den Geruch des winterlichen Waldes eingeatmet, der Erde, des Laubes auf dem Boden, den Duft des großen Rosmarinstrauches in dem Steintopf neben sich. Dann hatte er, als er im Haus war, in allen Kaminen Feuer angezündet. Und als alle drei brannten, das Holz krachte und es draußen dunkel wurde, da hatte er beschlossen, ein paar Tage zu bleiben. Niemand wartete auf ihn in München. Sein Leben dort war in die Luft gesprengt worden, die neue Wohnung bedeutete ihm nichts. Plötzlich schien ihm das Haus der richtige Ort für Weihnachten. Zwei Wochen später war der Makler des Auftrags enthoben, das Haus zu verkaufen. Und Ende Januar schleppte Tretjak insgesamt fünf schwere Rucksäcke den Berg hinauf, Kleidung, Bücher, Computer, ein kleines Teleskop. Das große stand noch immer in seiner Sternwarte auf einem Bauernhof bei München. Wahrscheinlich hatte es inzwischen Spinnweben angesetzt.

    Graue Mauern durchzogen den Berg und das Grundstück, auf dem Tretjaks Haus stand. Aus Natursteinen errichtet, viele inzwischen halb eingestürzt und von Pflanzen überwuchert, erinnerten sie an die Zeit, als die Menschen an den steilen Hängen Landwirtschaft betrieben hatten. Auch der Eselsweg wurde zum Berg hin von einer solchen Steinmauer beschützt, die von der Gemeinde in Schuss gehalten wurde. Den Weg selbst konnte man deshalb von Tretjaks Veranda aus nicht sehen, doch wenn ein Mensch darauf nach oben gelaufen kam, tauchte sein Kopf immer wieder zwischen den Büschen und Bäumen auf.
    Der Hut, den Tretjak jetzt von der Veranda aus sah, war ein billiger Strohhut, von der Art, wie sie unten am See und an allen Stränden der Welt verkauft wurden. Er wippte auf und ab und bewegte sich ziemlich schnell vorwärts. Tretjaks Blick war inzwischen geübt, und er erkannte sofort, dass die Person unter dem Hut körperlich fit war. Er war ein wenig überrascht, als er schließlich sah, dass es eine Frau war, die sich da zügig näherte und schon die letzte Biegung vor seinem Haus erreicht hatte. Jetzt konnte er die ganze Gestalt sehen. Die Frau hatte eine kräftige, beinahe bullige Statur. Sie trug eine helle Leinenhose, eine weiße Bluse und eine Sonnenbrille. Ihre langen braunen Haare hatte sie im Nacken zu einem schweren Zopf geflochten, die Füße steckten in leichten Wanderschuhen. Tretjak schätzte ihr Alter auf etwa vierzig.
    Der Weg war inzwischen ein markierter Wanderweg, man gelangte an Tretjaks Haus vorbei in etwa anderthalb Stunden Fußweg zu einem höher gelegenen Bauerndorf. Touristen gingen den Weg gelegentlich, um den Blick auf den See zu genießen, Einheimische benutzten ihn manchmal, um im Wald Pilze und Heidelbeeren zu sammeln. Unlängst hatte eine Pfadfindergruppe irgendwo dort oben ihr Camp aufgeschlagen. Wer Tretjaks Grundstück betreten wollte, musste unten beim Haus ein grüngestrichenes Holztor aufstoßen. Er wusste nicht, ob es sein Vater gewesen war oder der Vorbesitzer, der an diesem Tor eine Vorrichtung angebracht hatte, wie es sie früher in kleinen Lebensmittelläden gegeben hatte. Wenn man die Tür öffnete, ertönte ein kurzes, etwas abgedämpftes Klingelgeräusch, ein angenehm tiefer Ton, der
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