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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden
Autoren: Felicitas Mayall
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diese Gebote, Signor Ferruccio.»
    «Finden Sie? Ja, in gewisser Weise haben Sie recht. Allerdings sind wir im Gegenteil zu Orecchio nicht Teil des Systems. Wir sind nur Störenfriede, er ist ein Sünder.»
    «Könnten Sie mir jetzt den Schlüssel geben?»
    «Es macht Ihnen Angst, nicht wahr? Ihnen passiert genau das, was dieses System am Laufen hält.»
    «Warum antworten Sie mir nicht auf meine Frage?»
    «Oh, entschuldigen Sie. Natürlich, der Schlüssel. Natürlich können Sie den Schlüssel haben, Signora.»
    Ferruccio ging in die Eingangshalle und kehrte gleich darauf mit dem Schlüssel und einem schwarzen Notizbuch zurück. Eine Weile blätterte er, nah an den Lichtkegel der Stehlampe gebeugt, darin herum.
    «Er hieß Campobasso. Hier steht es. Der Polizist hieß Campobasso. Ein Comandante oder so was. Kennen Sie ihn?»
    «Nein. Geben Sie mir bitte den Schlüssel, ich fahre besser gleich los.»
    «Wollen Sie nicht lieber mit Teo darüber sprechen?»
    «Nein, das möchte ich nicht.»
    Laura drückte Ferruccios Hand, nahm den Schlüssel und schlich hinaus.
     
    Alles hatte genau nach Teos Anweisungen funktioniert. Der Fahrer des roten Lieferwagens hatte die Gasflaschen hinter dem Ferienhaus ausgetauscht und Guerrini gesagt, wo er die Ware umladen konnte. Nach zwanzig Minuten war Guerrini losgefahren und hatte an der Pforte kurz angehalten, als er Fabrizio sah.
    «Der rote Lieferwagen, Fabrizio. Bringt der immer die Gasflaschen nach Il Bosco ?»
    «Nein, Dottore. Es war heute das erste Mal. Vielleicht hat jemand das Gas in Follonica bestellt, weil es billiger ist. Stimmt was nicht?»
    «Ist schon in Ordnung. Hast du heute Nachtdienst?»
    «Nein, Dottore. Um acht werde ich abgelöst.»
    «Dann gute Nacht, und passt gut auf, wer rausfährt, ja?»
    «Natürlich, Dottore. Stimmt doch was nicht?»
    «Nein, nein. Ciao, Fabrizio.»
    Trotz des reibungslosen Ablaufs hatte Guerrini ein mulmiges Gefühl und war extrem auf der Hut, als er in das kleine Gewerbegebiet von Portotrusco einbog und nach kurzer Suche die Lagerhalle fand, die der Fahrer des Lieferwagens beschrieben hatte. Er fühlte sich beobachtet, versuchte aber, das auf die Geschichten aus der Vergangenheit zu schieben, auf die Paranoia, die offensichtlich inzwischen alle Beteiligten befallen hatte, selbst Laura. Alles schien geradezu absichtsvoll dazu angetan, diese Paranoia zu verstärken: die schlechterleuchtete Halle, der rote Lieferwagen, der Mann, von dem er erst nur das Aufglühen einer Zigarette sah. Es kostete ihn Überwindung, aus dem Wagen zu steigen.
    Der andere sagte nichts, trat die Zigarette aus und öffnete die Türen des Lieferwagens. Bis auf «verdammt schwer» und «Können Sie mal mit anfassen», kam keine Verständigung zustande. Als sie die Kartons im Lancia verstaut hatten, zündete sich der junge Mann eine neue Zigarette an und hielt Guerrini sein Päckchen hin. Beinahe automatisch nahm er eine, steckte sie zwischen die Lippen und ließ sich Feuer geben.
    «Dann los», sagte der Fahrer. «Es ist zwanzig vor acht. Ich seh nach, ob die Luft rein ist.»
    Als Guerrini wieder die Hauptstraße erreichte, schwor er seinem Vater Vergeltung für dieses Abenteuer und warf die halbe Zigarette angewidert aus dem Fenster. Inzwischen war auch noch Nebel aufgezogen, der mit Guerrinis Nerven spielte, die Straße verbarg und sie im nächsten Augenblick wieder frei gab. Es war, als hielte ihm jemand die Augen zu und nähme die Hände dann unvermutet wieder weg. Auf diese Weise verpasste er die Abzweigung zum Landsitz der Colaltos und musste umkehren.
    Bereits fünf vor acht. Wieso ließ er sich auch noch von der Zeit verrückt machen. Sie konnte warten, diese gierige Fleischfresserin. Als er durch die Zypressenallee fuhr, dachte er sich Schimpfnamen aus, ließ es dann aber bleiben, um sich auf die bevorstehende Begegnung zu konzentrieren. Auf all das hatte er sich nur wegen seines Vaters eingelassen, nur seinetwegen hatte er sich in die Hände dieses angeblichen verdeckten Ermittlers begeben.
    Die Gebäude tauchten aus dem Nebel auf, unscharf, mit Lichtern, die einen milchigen Hof hatten, wie der Mond, bevor es regnet. Die perfekte Kulisse für einen Horrorfilm, dachte er, für Domenica, die Vampirin. Guerrini hielt vor der Freitreppe an, als der vierschrötige Butler aus der Dunkelheit auftauchte und ihm bedeutete, durch das geöffnete Tor in den Innenhof zu fahren. Immerhin trug er keine weißen Handschuhe.
    Nein, dachte Guerrini. Den Rest der
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