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Die Stunde Der Toechter

Titel: Die Stunde Der Toechter
Autoren: Michael Herzig
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Engländer?«
    Tamara schaute schelmisch. »Ein bisschen Kokainentzug mache ich auch noch. Wieder einmal.«
    Johanna musste lachen. »Bergluft hätte ich auch bitter nötig. Aber was hat das alles mit mir zu tun?«
    Tamara Stämpfli wurde wieder ernst. »Ich möchte, dass du mit mir auf die Beerdigung meines Großvaters kommst. Ich schaffe das nicht allein.« Sie blickte Johanna in die Augen, als wolle sie sie hypnotisieren. »Das klingt vielleicht verrückt. Aber ich getraue mich da einfach nicht alleine hin!«
    Johanna seufzte. »Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen? Fünfzehn Jahre? Oder zwanzig? Und nun soll ich mit dir auf eine Familienfeier kommen, als wären wir die innigen Gymi-Freundinnen von früher?«
    Tamaras Furchen zwischen Nase und Mund waren wieder da. »Mein Vater würde es verstehen. Meine Mutter sowieso.« Sie stockte. »Die anderen sind nicht relevant.«
    Tamaras Mutter lebte in Zürich. Sie führte eine der traditionsreichsten Galerien der Stadt. Ein Erbstück. In den Neunzigern war sie ab und zu wegen ihres Alkoholkonsums in den Medien gewesen. Mittlerweile waren diese Geschichten verschwunden. Johanna hatte sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen.
    »Ich habe eine Gehirnerschütterung, furchtbare Kopfschmerzen und eine Strafuntersuchung am Hals. Momentan tauge ich nicht als Bodyguard, Tam. Noch weniger als Schoßhündchen.«
    Tamaras Katzenaugen zogen sich zusammen. »Du bist gemein, Johanna! Ich will dich nicht als Accessoire dabeihaben, sondern als Freundin. Hältst du mich wirklich für eine dermaßen birnenweiche Schickimicki-Schlampe?« Einen ganz kurzen Moment lang streichelte sie Johannas Wange. Ihre Hand war warm und weich. »Bitte, Jeanne. Komm mit!« Sie griff nach ihrer Handtasche und entnahm ihr eine silberne Schachtel. Dann klappte sie den Deckel auf, kramte eine Visitenkarte heraus und legte sie Johanna auf die Bettdecke. »Ruf mich an! Auch wenn du nicht nach Burgdorf kommst.«
    Tamara Stämpfli bückte sich und küsste Johanna auf die Stirn. Danach ging sie zur Tür und verschwand.
    Johanna sehnte sich nach der Familie in den gelben T-Shirts.
    7.
    Johanna di Napoli parkte in der Unterstadt und ging zu Fuß in die Oberstadt hinauf. Ein Weg, den sie als Teenager tausendmal gegangen war. Unterwegs begegneten ihr wenig Leute. Dafür viel Kunst. Am Straßenrand, auf einer Treppe. Vor einer merkwürdigen Skulptur wartete Tamara Stämpfli. Sie sah aus wie die Kuratorin des Museum of Modern Art auf der Flucht vor der Zollbehörde.
    Am Morgen war Johanna aus dem Spital entlassen worden. Mit dem guten Rat, nach Hause zu gehen, viel zu schlafen und im Dunkeln zu bleiben. Ansonsten riskiere sie chronische Kopfschmerzen. Da sie die bereits hatte, war sie nach Hause gegangen, hatte geduscht und frische Klamotten angezogen. Anschließend war sie ins Emmental gebraust. Zu schnell und mit offenen Fenstern. Der Fahrtwind blies das Kopfweh weg.
    Tamara roch teuer. Sie umarmte Johanna. »Danke, dass du gekommen bist. Das alles ist hysterisch, ich weiß. Aber es bedeutet mir viel, dass du mich begleitest.«
    Johanna staunte angesichts Tamaras trockener Haut. Sie selbst war klitschnass. Und für die Beerdigung eines Käsebarons zu locker angezogen. Tamaras Kleidung war feierlich. Johanna küsste sie auf die Wange.
    »Ist schon gut. Dafür sind Freundinnen da. Außerdem fällt mir zu Hause die Decke auf den Kopf. Ich bin zwei Wochen krankgeschrieben.«
    Tamara hakte sich bei Johanna ein. Nebeneinander stiegen sie eine breite Treppe hinauf. Oben angekommen, gingen sie eine Straße aus Kopfsteinpflaster entlang. Am Rand parkten Autos. Eines hatte einen Young Boys- Aufkleber auf dem Kofferraumdeckel. Vergeblich suchte Johanna einen Sticker des Schlittschuh-Clubs Langnau. Der Ersatztorwart der Juniorenmannschaft war ihre Jugendliebe gewesen. Doch alles, was sie an weiteren Verzierungen fand, waren Schweizerkreuze, etwas Unleserliches in verschnörkelter gotischer Schrift und ein riesiges jesus.ch auf einer Heckscheibe.
    Das Luftgässli führte zur Kirche hinauf. Tamara erzählte ununterbrochen von ihrer Familie. Johanna bekam nur einen Bruchteil mit. Nach einigen Metern an dem steilen Hang merkte sie, dass der Arzt sein Zeugnis nicht grundlos ausgestellt hatte. Keuchend musste sie sich setzen. Glücklicherweise hatte es überall Sitzbänke entlang des Weges, die der Stadt vom Emmentaler Schreinereiverband zu seinem hundertjährigen Jubiläum gestiftet worden waren. Tamara stand etwas verloren vor
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