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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern
Autoren: Katja Maybach
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Hitze des Nachmittags benebelten ihm die Sinne und lösten seine Zunge.
    »Das war es nicht, nicht nur. In dieser Nacht war Bérénice allein im Haus, und da hat sie …« Hippolyte sprach nicht weiter. Er starrte auf sein leeres Glas und drehte es nachdenklich in der Hand. »Es war Paris«, betonte er nach einer kleinen Pause.
    Frank klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter, das war seine Art, dem Freund sein Mitgefühl zu zeigen. »Aber du wolltest etwas sagen. Bérénice war allein hier oben, und da …«
    »Nicht so wichtig«, wich Hippolyte aus.
    Schweigend beobachteten sie die Arbeiter in den Weinbergen, bis lautes Hundegebell die Stille des Nachmittags zerriss. Überrascht drehten sich die beiden um und sahen eine junge Frau den Hügel neben dem Haus herunterkommen. Ein großer Hund lief und tanzte vor ihr her, unbekümmert bellte er die Arbeiter in den Feldern an, drehte sich um sich selbst, schnappte nach seinem Schwanz und rannte dann auf Frank und Hippolyte zu.
    »Tristan«, rief die junge Frau, »hierher, sofort!«
    Doch der Hund überhörte den Befehl und schnupperte gut gelaunt an den Beinen der beiden Männer.
    »Tristan, was für ein hässlicher Name für einen Hund!« Frank grinste.
    »Ist ja auch ein hässlicher Hund.« Hippolyte lachte und wehrte das große Tier ab, das an ihm hochsprang, seine Pfoten auf Hippolytes Schultern legte und ihn aus großen braunen Augen ansah.
    »Entschuldigung, er ist erst drei Monate alt. Er weiß noch nicht, dass er gehorchen sollte.«
    Atemlos stand die junge Frau vor den beiden Freunden. Sie nahm ihren großen Strohhut ab und fuhr sich mit der Hand durch das lange blonde Haar. Fasziniert verfolgten die beiden die Bewegung ihres Kopfes, als sie die schönen Haare in den Nacken warf. Sie trug Jeans und eine karierte Bluse, die sie in der Taille verknotet hatte, und ihre Füße steckten in klobigen braunen Schnürschuhen.
    Der Hund schnupperte jetzt interessiert an Hippolytes altem Pick-up, hob das Bein und pinkelte gegen den hinteren Reifen. War es die Sonne, der Alkohol oder die Nähe einer schönen Frau, dass Hippolyte in Lachen ausbrach und sich kaum mehr beruhigen wollte?
    »Marie-Luise Winter«, stellte die Frau sich vor und erzählte, dass sie das kleine Haus hinter dem Weinberg gekauft habe. »Nun gibt es ein Problem, und deswegen bin ich hier.«
    Beide Männer versicherten bereitwillig, bei der Lösung helfen zu wollen, und so erklärte sie, dass sie ihren Mietwagen bereits abgegeben habe, ihre Freundin aber erst in drei Tagen aus Deutschland kommen könnte.
    »Sie bringt mir mein Auto. Aber vor einer Stunde rief sie mich an, dass sie es nicht früher schafft. Und nun brauche ich dringend Glühbirnen, Batterien und Lebensmittel. Fährt einer von Ihnen zufällig in die Stadt und könnte mich mitnehmen?«
    Erwartungsvoll sah sie die beiden Männer an. Frank musste zurück zu den Arbeitern, was er zutiefst bedauerte, und so bot Hippolyte sich an, sie in die Stadt zu fahren. Er öffnete ihr die Wagentür, und Tristan sprang unaufgefordert hinten auf, wo er es sich zwischen leeren Kisten bequem machte.
    Der Wagen rumpelte über den steinigen Weg hinunter in die Stadt.
    »Wir fahren am besten zu Robert, da bekommen Sie fast alles. Daneben gibt es ein Geschäft mit frischem Obst und Gemüse, und die beste Bäckerei von Saint-Emile liegt auch nur zwei Häuser weiter«, erklärte Hippolyte. Er spürte, wie die junge Frau ihn heimlich von der Seite beobachtete. Zunächst war er einsilbig geblieben, hatte sich nur kurz vorgestellt, dann waren sie schweigend weitergefahren.
    »Machen Sie Ferien hier?«, fragte er ungeschickt, als die ersten Häuser von Saint-Emile auftauchten.
    »Ich werde hier wohnen«, erklärte Marie-Luise schlicht. »Ich habe mich scheiden lassen und von meiner Abfindung das kleine Haus gekauft. Arbeiten kann ich überall.«
    Sie machte eine kleine Pause und wartete, bis Hippolyte die Frage nach ihrem Beruf stellte.
    »Ich übersetze Romane aus dem Deutschen ins Französische und umgekehrt. Meine Mutter war Französin, und mein Vater ist Deutscher«, fügte sie hinzu. »Und Sie? Was machen Sie?«
    Marie-Luise lächelte ihn rasch von der Seite an, doch da waren sie bereits vor Roberts großem Geschäft angekommen, und Hippolyte war erleichtert, aussteigen zu können. Was sollte er ihr auch erzählen? Er war vierundvierzig Jahre alt, seine krausen dunklen Haare begannen sich zu lichten, er lebte von seiner Frau getrennt, er war ein Versager, der
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