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Die Stunde der Schwestern

Die Stunde der Schwestern

Titel: Die Stunde der Schwestern
Autoren: Katja Maybach
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klopfte.
    »Das gibt einen guten Wein, genau richtig für einen Neuanfang. Wie war’s auf der Bank?« Ein scharfer Blick streifte Hippolytes Gesicht. »Hast du Erfolg gehabt?«
    Hippolyte nickte und zog ein Kuvert aus der Innentasche seiner hellen Leinenjacke. »Hier steht es schwarz auf weiß, wir bekommen einen weiteren Kredit.«
    Mit dem Kuvert fächelte er sich Kühlung zu, er war erschöpft, angespannt, doch sichtlich zufrieden. Vor einem halben Jahr war er zurückgekommen, und die Monate harter Arbeit waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen, auch die Unsicherheit vor dem heutigen Termin bei der Bank hatte an seinen Nerven gezerrt. Jetzt sog er tief die sonnendurchglühte Luft ein.
    »Es wird noch einige Zeit dauern, bis wir in die schwarzen Zahlen kommen, aber wir werden es schaffen.«
    »Klar«, antwortete Frank und grinste. »Hast du je daran gezweifelt?«
    Hippolyte lächelte gleichgültig und zuckte mit den Schultern.
    »Ich hole uns einen Pastis«, schlug Frank vor, »zum Anstoßen.« Und er verschwand im Haus.
    Hippolytes Blick wanderte über die Weinberge, die Landschaft seiner Kindheit. Er hatte sie genauso wiedergefunden, wie er sie vor vier Jahren verlassen hatte. Sie machte ihn glücklich und gab ihm das Gefühl von Zufriedenheit. Wie hatte er das Haus und die Umgebung vermisst, wie hatte er es nur vier Jahre ohne seine Heimat, sein Zuhause ausgehalten, und wie glücklich war er, dass
La Maison Bleue
wieder ihm gehörte.
    »Wie geht es Bérénice?« Frank war mit der Flasche unter dem Arm und zwei Gläsern aus dem Haus gekommen. Er durfte Hippolyte das fragen, denn er war sein ältester und bester Freund, der nach seiner Rückkehr alles stehen und liegen gelassen hatte, um mit ihm zusammen das Weingut wieder auf Erfolgskurs zu bringen.
    Hippolyte wartete, bis Frank die Gläser gefüllt hatte, prostete ihm zu und nahm einen kräftigen Schluck. Er atmete durch und ließ sich Zeit, bevor er antwortete: »Ich habe vor einigen Wochen mit ihr telefoniert, es scheint ihr sehr gutzugehen. Finanziell hat sie ausgesorgt. Endlich«, fügte er leise hinzu.
    »Und dieser Designer? Ich meine …« Frank zögerte, bevor er weitersprach. »Ist das ihr Freund?«
    Frank hatte nicht verstehen können, dass Hippolyte allein aus Paris zurückgekehrt war.
    »Vielleicht, ich weiß es nicht. Aber sie hat keine Affäre mit ihm, wenn du das meinst. Er interessiert sich nicht für Frauen. Seine Modenschau im August war nicht sehr erfolgreich; nur die bestickten Abendkleider, die wurden in allen Zeitungen erwähnt. Und das war das Werk von Bérénice«, stellte Hippolyte stolz fest. »Sie liebt Paris, und sie scheint glücklich über die neue berufliche Herausforderung zu sein. Sie bereitet schon die nächste Kollektion für die Show im Februar vor. Sie hat also alle Hände voll zu tun.«
    Hippolytes Stimme klang voller Energie, ein wenig zu sehr, wie er fand, doch er wollte nicht zugeben, wie sehr er Bérénice vermisste. Nicht einmal vor sich selbst. Er vermisste sie jeden Tag, jeden Abend. Hier im
Maison Bleue
kamen die Erinnerungen zurück, nicht nur an die Nacht, die ihnen zum Verhängnis geworden war, sondern auch an die langen Spaziergänge in den Lavendelfeldern, an Sonntage, an denen sie in einem idyllischen Gartenrestaurant der Umgebung gegessen hatten. Wie oft dachte er in den letzten Wochen an die Nächte, die so heiß gewesen waren, dass sie nicht schlafen konnten, aufstanden und den kleinen Hügel hinaufliefen. Daran, wie sie sich im Licht des hellen Mondes zärtlich umarmt hatten und schweigend auf das laute Zirpen der Zikaden lauschten.
    Er durfte nicht daran denken, nicht jetzt. Heute hatte er einen großen Erfolg verbuchen können, indem er den Direktor der Bank von seinen Plänen überzeugte. Er sollte glücklich sein. Während er sein Glas langsam leerte, ließ er seinen Blick über das alte Steinhaus mit den hellblauen Fensterläden und Türen gleiten, bis er an dem alten knorrigen Olivenbaum hängenblieb, dessen silbrige Blätter in der flirrenden Hitze zitterten und glänzten.
    In Gedanken und Erinnerungen versunken, merkte er nicht, dass Frank ihm sofort wieder nachschenkte.
    »Ich denke, die Zeit in Paris hat unsere Ehe zerstört«, sinnierte er laut. »Ich hatte immer geglaubt, es ist diese Nacht gewesen, damals … von der ich dir erzählt habe … obwohl …«
    »Du meinst, als du das Weingut verspielt hast?«
    Hippolyte nickte und trank langsam, Schluck für Schluck. Der Pastis und die
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