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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße
Autoren: Cormac McCarthy
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wartet.
     
     
    Zwei Tage später kamen sie zu einem Tidefluss, wo eine eingestürzte Brücke im langsam sich bewegenden Wasser lag. Sie saßen auf der kaputten Böschungsmauer der Straße und sahen zu, wie der Fluss zurückströmte und über das eiserne Gitterwerk spielte. Er blickte über das Wasser auf das Land dahinter.
    Was machen wir jetzt, Papa?, fragte er.
    Ja, was?, sagte der Junge.
     
    Sie gingen auf die lange, spitz zulaufende Schlammbank hinaus, wo halb begraben ein kleines Boot lag, und betrachteten es. Es war nur noch ein Wrack. Der Wind brachte Regen mit sich. Auf der Suche nach einem Unterschlupf stapften sie mit ihrem Gepäck den Strand entlang, fanden aber keine geeig-nete Stelle. Er schob etwas von dem knochenfarbenen Holz, das überall herumlag, zusammen und brachte ein Feuer in Gang, und dann saßen sie, die Plane über die Köpfe gezogen, in den Dünen und sahen zu, wie von Norden der kalte Regen herankam. Er fiel kräftiger, bohrte kleine Grübchen in den Sand. Das Feuer dampfte, der Rauch verwirbelte zu trägen Schleifen, und der Junge rollte sich unter der trommelnden Plane zusammen und war bald eingeschlafen. Der Mann zog sich das Plastik wie eine Kapuze über den Kopf, betrachtete die graue, weiter draußen von Regen verhüllte See und sah zu, wie sich die Brandung am Ufer brach und über den dunklen, punktierten Sand wieder zurückwich.
     
    Am nächsten Tag wandten sie sich landeinwärts. Eine riesige, flache Niederung, wo Farne, Hortensien und wilde Orchi- deen als aschene Abbilder ihrer selbst überdauerten, die der Wind noch nicht erreicht hatte. Das Vorwärtskommen war eine einzige Qual. Zwei Tage später, als sie auf einer Straße herauskamen, stellte er die Tasche ab, setzte sich, die Arme auf Brusthöhe verschränkt, vornübergebeugt auf den Boden und hustete, bis er nicht mehr husten konnte. Weitere zwei Tage später hatten sie vielleicht fünfzehn Kilometer zurückgelegt. Sie überquerten den Fluss und kamen kurz darauf an eine Kreuzung. Weiter südlich war ein Sturm über die Landenge hinweggezogen und hatte von Ost nach West die toten schwarzen Bäume zu Boden gedrückt wie Halme auf dem Grund eines Flusses. Hier kampierten sie, und als er sich hinlegte, wusste er, dass er nicht weitergehen konnte und dass dies der Ort war, an dem er sterben würde. Der Junge saß da und betrachtete ihn mit feucht werdenden Augen. O Papa, sagte er.
    Er sah ihn durch das Gras kommen und mit dem Becher Wasser, den er geholt hatte, niederknien. Überall um ihn herum war Licht. Er nahm den Becher, trank und legte sich zurück. Zu essen hatten sie noch eine einzige Dose Erbsen, doch er bestand darauf, dass der Junge sie aß, und wollte nichts davon haben. Ich kann nicht, sagte er. Das ist schon in Ordnung so.
    Ich hebe deine Hälfte auf.
    Okay. Heb sie bis morgen auf.
    Der Junge nahm den Becher und entfernte sich, und als er sich bewegte, bewegte das Licht sich mit ihm. Er hatte aus der Plane ein Zelt machen wollen, aber der Mann hatte ihn nicht gelassen. Er sagte, er wolle nicht, dass ihn irgendetwas zudeckte. Er lag da und betrachtete den am Feuer sitzenden Jungen. Er wollte sehen können. Sieh dich um, sagte er. In der langen Chronik der Erde gibt es keinen Propheten, dem hier und heute nicht die Ehre erwiesen würde. In welcher Form du auch gesprochen hast, du hattest recht.
     
    Der Junge meinte, im Wind feuchte Asche zu riechen. Er ging die Straße hinauf, zerrte, als er zurückkam, ein Stück Sperrholz aus dem Abfall an der Straße hinter sich her, hämmerte mit einem Stein Stöcke in den Boden undbaute mit dem Sperrholz einen wackeligen Unterstand, doch am Ende regnete es dann doch nicht. Er ließ die Leuchtpistole da und suchte, mit dem Revolver bewaffnet, nach etwas Essbarem, kam jedoch mit leeren Händen wieder. Der Mann ergriff schwer atmend seine Hand. Du musst weitergehen, sagte er. Ich kann nicht mitkommen. Du musst immer weitergehen. Du weißt nicht, was es weiter die Straße entlang geben könnte. Wir haben immer Glück gehabt. Du wirst wieder Glück haben. Du wirst es sehen. Geh nur. Das ist schon in Ordnung.
    Ich kann nicht.
    Das ist schon in Ordnung. Es hat sich seit längerer Zeit angekündigt. Jetzt ist es so weit. Geh immer nach Süden. Mach alles so, wie wir es gemacht haben.
    Du wirst wieder gesund, Papa. Du musst.
    Nein, das werde ich nicht. Trage immer den Revolver bei dir. Du musst die Guten finden, aber du darfst keine Risiken eingehen. Keine Risiken. Hörst du?
    Ich
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