Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße
Autoren: Cormac McCarthy
Vom Netzwerk:
rein.
    Er bückte sich, hob die Kleider auf und legte sie oben auf die Schuhe. Die Arme um sich geschlagen, stand er da. Mach doch nicht so was, Mann.
    Du hast es doch auch mit uns gemacht.
    Ich bitte dich.
    Papa, sagte der Junge.
    Komm schon. Hör auf das Kind.
    Du hast versucht, uns umzubringen.
    Ich bin am Verhungern, Mann. Du hättest es genauso gemacht.
    Du hast alles mitgenommen.
    Hör schon auf, Mann. Ich werde sterben.
    Ich werde dich so zurücklassen, wie du uns zurückgelassen hast.
    Hör schon auf. Ich bitte dich.
    Er zog den Wagen zurück, wendete ihn, legte den Revolver obenauf und sah den Jungen an. Gehen wir, sagte er. Und während sie in Richtung Süden losmarschierten, blickte sich der weinende Junge immer wieder nach der nackten, zaundürren Gestalt um, die, zitternd und die Arme um sich geschlagen, auf der Straße stand. Ach, Papa, schluchzte er.
    Hör auf damit.
    Ich kann nicht aufhören.
    Was meinst du, wie es uns ergangen wäre, wenn wir ihn nicht erwischt hätten? Hör auf.
    Ich versuche es ja.
    Als sie bei der Biegung in der Straße anlangten, stand der Mann immer noch da. Er konnte nirgendwo hin. Der Junge blickte immer wieder zurück, und als er ihn nicht mehr sehen konnte, blieb er stehen und setzte sich dann einfach schluchzend auf die Straße. Der Mann hielt an und betrachtete ihn. Er wühlte ihre Schuhe aus dem Wagen und begann, die Umhüllungen von den Füßen des Jungen zu lösen. Du musst zu weinen aufhören, sagte er.
    Ich kann nicht.
    Er zog ihm und sich die Schuhe an, dann stand er auf und ging die Straße zurück, ohne jedoch den Dieb zu sehen. Wieder bei dem Jungen angelangt, stellte er sich vor ihn. Er ist weg, sagte er. Komm.
    Er ist nicht weg, sagte der Junge. Er blickte auf. Das Gesicht rußverschmiert. Er ist nicht weg.
    Was willst du denn machen?
    Ihm einfach nur helfen, Papa. Einfach nur helfen.
    Der Mann blickte die Straße entlang zurück.
    Er hat bloß Hunger gehabt, Papa. Er wird sterben.
    Er wird sowieso sterben.
    Er hat solche Angst, Papa.
    Der Mann ging in die Hocke und sah ihn an. Ich habe Angst, sagte er. Verstehst du? Ich habe Angst.
    Der Junge gab keine Antwort. Er saß einfach nur mit gesenktem Kopf da und schluchzte.
    Du bist nicht derjenige, der sich um alles Gedanken machen muss.
    Der Junge sagte etwas, aber er konnte ihn nicht verstehen. Was?, fragte er.
    Der Junge blickte auf, sein Gesicht feucht und schmutzig. Doch, das bin ich, sagte er. Ich bin derjenige.
    Sie rollten den schwankenden Wagen auf der Straße zurück, dann standen sie in der Kälte und der hereinbrechenden Dunkelheit und riefen, doch es kam niemand.
    Er hat Angst zu antworten, Papa.
    Ist das die Stelle, wo wir angehalten haben?
    Ich weiß nicht. Ich glaube schon.
    In der leeren Dämmerung gingen sie unter ständigem Rufen weiter die Straße entlang, und ihre Stimmen verloren sich über dem dunkel werdenden Küstenland. Sie blieben stehen, legten die Hände trichterförmig an den Mund und schrien sinnlos in die Ödnis hinein. Schließlich legte er Schuhe und Kleider des Mannes als kleines Häufchen auf die Straße. Er beschwerte sie mit einem Stein. Wir müssen gehen, sagte er. Wir müssen gehen.
     
    Sie fanden eine trockene Stelle, wo sie ohne Feuer kampierten. Er suchte Dosen für das Abendessen heraus, machte sie auf dem Gasbrenner heiß, sie aßen, und die ganze Zeit blieb der Junge stumm. Der Mann versuchte, im blauen Licht des Gasbrenners sein Gesicht zu sehen. Ich wollte ihn doch gar nicht umbringen, sagte er. Doch der Junge gab keine Antwort. Sie wickelten sich in die Decken und lagen in der Dunkelheit. Er meinte, das Meer zu hören, aber vielleicht war es bloß der Wind. Am Atemgeräusch des Jungen erkannte er, dass dieser wach war, und nach einer Weile sagte der Junge: Aber wir haben ihn umgebracht.
     
     
    Am Morgen aßen sie und machten sich auf den Weg. Der Wagen war so schwer beladen, dass man ihn nur mit Mühe schieben konnte, und eines der Räder gab allmählich den Geist auf. Die Straße wand sich die Küste entlang, tote Besengrasbüschel hingen auf das Pflaster. In der Ferne die Bewegung der bleifarbenen See. Die Stille. Als er in jener Nacht aufwachte, waren im stumpfen grauschwarzen Licht des hinter der Düsterkeit dahinziehenden Mondes die Formen der Bäume eben erkennbar, und er drehte sich hustend weg. Geruch nach Regen da draußen. Der Junge war wach. Du musst mit mir reden, sagte er.
    Ich versuche es.
    Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.
    Das macht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher