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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße
Autoren: Cormac McCarthy
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nichts.
    Er stand auf und ging zur Straße. Das schwarze Band verlief von Dunkelheit zu Dunkelheit. Dann ein fernes, leises Grollen. Kein Donner. Man spürte es unter den Füßen. Ein Geräusch, das keinem anderen ähnelte und somit nicht zu beschreiben war. Etwas Unwägbares, das sich dort draußen im Dunkel bewegte. Die Erde selbst, die sich vor Kälte zusammenzog. Es kam nicht wieder. Welche Jahreszeit? Wie alt war das Kind? Er trat auf die Straße und blieb stehen. Die Stille. Der Salitter vertrocknete in der Erde. Die schmutzfleckigen Umrisse überfluteter, bis auf die Wasserlinie niedergebrannter Städte. An einer Kreuzung ein mit Dolmensteinen besetztes Gelände, wo die beredten Knochen von Orakeln vor sich hin moderten. Kein Geräusch außer dem des Windes. Was wirst du sagen? Ein lebendiger Mensch hat diese Zeilen gesprochen. Hat mit seinem kleinen Taschenmesser einen Federkiel angespitzt, um mit Schlehdornsaft oder Lampenschwarz diese Dinge niederzuschreiben? In einem errechenbaren, auf einer Tafel niedergelegten Moment? Er kommt, um mir meine Augen zu stehlen. Mir den Mund mit Erde zu verschließen.
    Erneut sah er eine nach der anderen die Dosen durch, hielt sie in der Hand und drückte sie wie jemand, der den Reifegrad einer Frucht prüft. Er sortierte zwei aus, die er für fragwürdig hielt, verstaute den Rest, belud den Wagen, und sie machten sich wieder auf den Weg. Drei Tage später erreichten sie eine kleine Hafenstadt, versteckten den Wagen in einer Garage hinter einem Haus, stellten ihn mit alten Kartons zu und warteten dann im Haus ab, ob jemand auftauchen würde. Es kam niemand. Er durchsuchte die Schränke, fand jedoch nichts. Er brauchte Vitamin D für den Jungen, damit dieser keine Rachitis bekam. Er stand am Ausguss und blickte die Einfahrt hinunter. In den schmutzigen Fensterscheiben gerann Licht, das die Farbe von Spülwasser hatte. Der Junge saß, den Kopf in den Armen, zusammengesunken am Tisch.
     
     
    Sie gingen durch die Stadt und zum Hafen hinunter. Sie sahen niemanden. Der Revolver steckte in seiner Jackentasche, und er hatte die Leuchtpistole in der Hand. Sie traten auf den Landungssteg hinaus, dessen grobe Bretter von Teer gedunkelt und mit Hakennägeln an den Balken darunter befestigt waren. Holzpolier. Von der Bucht her ein leichter Geruch nach Salz und Kreosot. Am anderen Ufer eine Reihe Lagerhäuser und der Umriss eines Tankers, rotbraun vor Rost. Vor dem trüben Himmel ein hoher Brückenkran. Es ist niemand da, sagte er. Der Junge gab keine Antwort.
     
    Sie rollten den Wagen durch die Nebenstraßen und über die Bahngleise und gelangten am anderen Ende der Stadt wieder auf die Hauptstraße. Als sie an den letzten ärmlichen Holzgebäuden vorbeikamen, pfiff etwas an seinem Kopf vorbei, prallte klappernd von der Straße ab und zerbrach an der Wand des Häuserblocks auf der anderen Seite. Er riss den Jungen zu Boden, ließ sich auf ihn fallen und packte den Wagen, um ihn an sie heranzuziehen. Der Wagen kippte um, Plane und Decken fielen auf die Straße. In einem der oberen Fenster des Hauses sah er einen Mann, der mit gespanntem Bogen auf sie zielte, und er drückte den Kopf des Jungen nach unten und versuchte, ihm mit seinem Körper Deckung zu geben. Er hörte das dumpfe Schwirren der Bogensehne und spürte einen scharfen, heißen Schmerz am Bein. Du Scheißkerl, sagte er. Du Scheißkerl. Er krallte die Decken zur Seite, langte nach der Leuchtpistole, richtete sich auf, spannte die Waffe und stützte den Arm auf den umgestürzten Wagen. Der Junge klammerte sich an ihn. Als der Bogenschütze wieder in den Fensterrahmen trat, um erneut den Bogen zu spannen, schoss er. Die Leuchtkugel zischte in langgezogenem weißem Bogen auf das Fenster zu, dann hörten sie den Mann schreien. Er packte den Jungen, drückte ihn zu Boden, zog die Decken über ihn. Rühr dich nicht, sagte er. Rühr dich nicht und schau nicht hin. Auf der Suche nach dem Kasten für die Leuchtpistole zerrte er die restlichen Decken aus dem Wagen auf die Straße. Der Kasten glitt schließlich heraus, er griff hastig danach, klappte ihn auf, nahm die Patronen heraus, lud die Pistole neu, ließ sie zuschnappen und steckte sich die restlichen Patronen in die Tasche. Bleib genau so, flüsterte er. Er tätschelte den Jungen durch die Decken hindurch, stand auf und rannte humpelnd über die Straße.
     
    Die Leuchtpistole auf Hüfthöhe nach vorn gerichtet, betrat er das Haus durch die Hintertür. Es war bis auf die
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