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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße
Autoren: Cormac McCarthy
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gruseligen Traum gehabt?
    Ich weiß nicht. Aber jetzt ist es wieder gut. Ich lege noch ein bisschen Holz aufs Feuer. Schlaf weiter.
    Der Junge gab keine Antwort. Dann sagte er: Der Schlüssel hat sich nicht gedreht.
     
     
    Aus dem Schnee herauszukommen dauerte weitere vier Tage, und selbst dann hielt er sich vereinzelt in bestimmten Biegungen der Straße, die auch weiter unten noch schwarz und nass war von Schmelzwasser aus dem Hochland. Sie kamen am Rand einer tiefen Schlucht heraus, durch die sich weit unten im Dunkeln ein Fluss zog. Sie standen da und lauschten.
    Hohe Felsblöcke auf der anderen Seite des Canyons, an dessen Abbruchkante sich dünne schwarze Bäume klammerten. Das Geräusch des Flusses verklang. Dann kam es wieder. Von dem Land unten wehte ein kalter Wind herauf. Sie brauchten den ganzen Tag, um den Fluss zu erreichen.
     
     
    Sie ließen den Wagen auf einem Parkplatz stehen und marschierten durch den Wald. Vom Fluss kam ein leises Tosen. Es war ein Wasserfall: Von einem Felssims stürzte sich das Gewässer durch einen grauen Dunstschleier fast dreißig Meter in den Gumpen darunter. Sie konnten das Wasser riechen, und sie spürten die davon ausgehende Kälte. Ein Streifen nasser Flusskies. Er stand da und beobachtete den Jungen. Wow, sagte der Junge. Er konnte die Augen nicht davon losreißen.
     
     
    Er hockte sich hin, schaufelte eine Handvoll Steine auf, roch daran und ließ sie rasselnd fallen. Rund geschliffen und glatt wie Marmor oder Schwämme aus Stein, geädert und gestreift. Schwarze Scheibchen und geschliffene Quarzstücke, von der Flussgischt ganz blank. Der Junge trat ans Ufer, hockte sich nieder und schöpfte das dunkle Wasser auf.
     
    Das Wasser stürzte fast genau in die Mitte des Gumpens. Etwas trübe Graues kreiselte. Sie standen nebeneinander, und der Lärm zwang sie zum Rufen.
    Ist es kalt?
    Ja. Eiskalt.
    Willst du reingehen?
    Ich weiß nicht.
    Klar willst du.
    Meinst du, das geht?
    Na los.
    Er zog den Reißverschluss seines Parkas auf und ließ das Kleidungsstück auf den Boden fallen, der Junge stand auf, sie zogen sich aus und wateten ins Wasser. Geisterhaft bleich und zitternd. Der Junge so dünn, dass es ihm das Herz brach. Er tauchte kopfüber ein, kam nach Luft schnappend wieder hoch, stand auf und schlug mit den Armen.
    Kann ich da noch stehen?, rief der Junge.
    Ja. Komm schon.
    Er drehte sich um, schwamm bis zum Wasserfall und ließ das Wasser auf sich herunterprasseln. Der Junge stand bis zur Taille im Gumpen, hatte die Arme um sich geschlagen und hüpfte auf und ab. Der Mann schwamm zurück und holte ihn. Er hielt ihn in der Schwebe, und der Junge keuchte und hieb auf das Wasser ein. Das machst du gut, sagte der Mann. Das machst du gut.
     
    Sie zogen sich zitternd an und stiegen dann den Pfad zum Oberlauf des Flusses hinauf. Sie gingen die Felsen entlang bis zu der Stelle, wo der Fluss im leeren Raum zu enden schien, und er hielt den Jungen fest, während er sich auf das äußerste Steinsims vorwagte. Der Fluss strömte saugend über den Rand und stürzte senkrecht in den Gumpen. Der ganze Fluss. Der Junge klammerte sich an den Arm des Mannes.
    Es ist richtig tief, sagte er.
    Ziemlich tief.
    Würde man sterben, wenn man da runterfällt?
    Man würde sich verletzen. Es geht ganz schön weit runter.
    Es ist richtig gruselig.
    Sie marschierten durch den Wald- Das Licht schwand. Zwischen riesigen toten Bäumen hindurch folgten sie den Niederungen entlang dem Oberlauf. Ein üppiger Südstaatenwald, in dem es einmal Maiapfel und Wintergrün gegeben hatte. Ginseng. Die nackten, toten Zweige des Rhododendrons verdreht, knorrig und schwarz. Er blieb stehen. Im Mulch und in der Asche war etwas. Er bückte sich und legte es frei. Eine kleine Kolonie, verschrumpelt, vertrocknet und runzelig. Er pflückte einen, hielt ihn hoch und schnupperte daran. Er biss ein Stück vom Rand ab und kaute.
    Was ist das, Papa?
    Morcheln. Das sind Morcheln.
    Was sind Morcheln?
    Eine Pilzart.
    Kann man die essen?
    Ja. Probier mal.
    Schmecken die?
    Probier mal.
    Der Junge roch an dem Pilz, biss hinein und kaute. Er sah seinen Vater an. Schmeckt ziemlich gut, sagte er.
     
    Sie zogen die Morcheln aus dem Boden, kleine, fremdartig wirkende Dinger, die er in der Parkakapuze des Jungen sammelte. Sie marschierten zur Straße zurück und von dort aus zu der Stelle, wo sie den Wagen zurückgelassen hatten, dann schlugen sie an dem Gumpen beim Wasserfall ihr Lager auf, spülten Erde und Asche von den
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