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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Krankenhaus.«
    »Erst müssen wir in Bou Saâda sein.« Dr. Sievert zeigte mit zitterndem Arm nach El Hamel. »Sehen Sie? Licht! Man sucht uns. Man wird uns hetzen wie Wild! Wir müssen zu den Kamelen! Fragen Sie nicht, Dr. Handrick, es geht um das Leben des Mädchens.« Er rannte voraus, so gut er konnte. Er stolperte, auf die Schulter von Ferrai gestützt, den Steinweg hinauf bis zu einer Senke, in der, an einigen Zedern festgebunden, drei Kamele warteten.
    »Sie nehmen das stärkste!« rief Dr. Sievert. »Der Junge und ich kommen schon weiter!« Er ließ sich auf den Holzsattel fallen, und das Tier schnellte empor. Krampfhaft hielt er sich an der vorderen Lehne fest und beugte sich weit über den vorgestreckten Hals des Kamels. »Nach Bou Saâda geht es durch diese Schlucht. Folgen Sie mir nur, ich reite voraus!« Er trieb mit der Peitsche das Tier an und ließ es im Galopp aus der Schlucht rennen.
    Aber von dort sahen sie, wie aus El Hamel eine lange Kette Reiter quoll und den Weg nach der Oase Bou Saâda abschnitt. Sie galoppierte schon über das große Gräberfeld zu den Felsen, in deren Schatten die Flüchtenden standen.
    »Sie werden uns einholen und dich töten!« schrie Hilde und zeigte auf die lange Reihe der rennenden Kamele.
    »Zurück nach Biskra!« rief Dr. Sievert. Er wendete und raste durch das Gestein nach Süden. Er ließ Ferrai vorreiten, denn er war unfähig, noch sein Kamel zu lenken. Hin und her pendelnd hing er in dem breiten Holzsattel und hatte die Augen geschlossen. Das wilde Schaukeln zerstampfte die Nerven in seinem Kopf, die Welt drehte sich um ihn, und jetzt fror er auch wieder. Mit klappernden Zähnen und zitternden Backenknochen ließ er sich von dem Tier in die Wüste tragen, die plötzlich, am Ausgang der Felsen, feindlich, endlos, gelbgrau in der Nacht vor ihnen lag.
    Der Sand wirbelte auf. Staub bedeckte die Körper schon nach wenigen Minuten. Er behinderte das Atmen, reizte zum Husten, drang in Mund, Nase und Ohren.
    Die Wüste öffnete sich vor ihnen. Gierig, schweigsam, ohne Ende für die kleinen Menschen.
    Die endlose Straße. Der Weg des Durstes.
    Hinter sich hörten sie die Schreie der Verfolger.
    Was sind vier Tage?
    In vier Tagen kann man essen, trinken, schlafen, lieben, Schönes erleben, Schlechtes beweinen, Glück empfangen und Schmerz austeilen.
    Man kann auch sterben.
    Vier Tage in der glühenden Sonne südlich des Oued Djedi. Ein Land der Hoffnungslosigkeit. Eine Wüste, wüster als wüst.
    Und in ihr drei Kamele und vier kleine, verdurstende, schwache, am Ende ihrer Kräfte stehende Menschen.
    Die Sonne kennt kein Erbarmen. Der Sand nicht. Die Luft nicht. Der Himmel nicht. Und Gott nicht.
    Nur das Schweigen ist da. Und dieses Schweigen ist ein großes Wort. Ein Wort, das den Menschen erschauern läßt.
    Ende.
    Dr. Handrick hatte Hilde vor sich im Sattel und stützte den schwachen Körper. Seine Lippen waren blutig, aufgesprungen, hart wie Pergament, das im Ofen gelegen hat. Die Augen glühten fiebrig, aber er hielt noch die Zügel des Kamels und lenkte es in der Spur, die das Tier Dr. Sieverts hinterließ.
    Dr. Sievert lag auf seinem Sattel und spürte nichts mehr. Der Durst verbrannte ihn von innen. Er blickte nicht mehr auf, er konnte es nicht mehr sehen, dieses endlose, gelbe, schreckliche Land. Er wußte nur, daß Ferrai vor ihm ritt und daß er nicht eher aus dem Sattel kommen würde, als bis er tot herunterfiel. Und so ließ er sich tragen und sehnte sich nach dem Tod.
    Ferrai war noch kleiner geworden, als er schon war. Es schien, als habe ihn die Sonne zusammenschrumpfen lassen. Er hatte seit zwei Tagen ein hartes Palmblatt zwischen den Zähnen und kaute an ihm. Solange er kaute, spürte er keinen Durst, reizte er den Gaumen, den wenigen Speichel zu erzeugen, den der ausgetrocknete Körper noch hergab. Den halben Wassersack trug er bei sich und verteilte am Abend für jeden nur einen einzigen Schluck Wasser.
    Noch dreihundert Kilometer bis Biskra. Und keine Oase dazwischen. Kein Brunnen. Kein Wadi.
    Nur Sand … Sand … Sand.
    Die Kamele schrien am Abend, wenn sie niederknieten, und am Morgen, wenn sie weiter mußten. Sie bockten, bissen um sich und standen dann schließlich doch auf und zogen weiter durch die Glut des Wüstensommers.
    Am ersten Tag der Flucht hatte Dr. Sievert noch die Kraft besessen, in der kalten Nacht, während alles schlief, fünfhundert Meter weiter zu einem Flußbett zu kriechen, in dem seitlich unter Palmen eine Lache schmutzigen
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