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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Straßen und rannte an den fensterlosen Hauswänden entlang. Bei einem kleinen Brunnen hielt er an, trank vorsichtig das Wasser, nachdem er den Geschmack überprüft hatte und heimlich eine Tablette gegen Ruhr genommen hatte. Um ihn herum spielten lärmend halbnackte Kinder und tauchten ab und zu den kahlgeschorenen Kopf in ein Bassin, das als Freibad für die Pilger diente und durch ein Rohr mit dem Brunnen verbunden war. Durch ein Loch im Bassin lief das überschüssige Wasser in einem überdeckten Gang in die Gärten des Marabut, wo es im Sandboden zwischen den Blütenstauden versickerte.
    Handricks Plan war noch nicht gefaßt. Er war in El Hamel, und man erkannte ihn nicht – das war der erste große Schritt zu Hilde. Wie ein armer, dreckiger, müder Pilger hockte er im Schatten einer Palme auf einem Stein und kaute an seiner Melone. Der Saft troff ihm in den Bart und verfilzte ihn mit süßlicher Klebrigkeit. Er dachte, daß dies gut sei und ihn noch mehr in den Augen der Araber als ihresgleichen stempelte.
    Aber während er aß, gingen seine Blicke unruhig umher. Er tastete die Häuser ab, ja er winkte sogar einen der spielenden Jungen heran und fragte ihn nach einer weißen Frau. Der Junge lachte und schüttelte den Kopf. Da erhob er sich, schenkte die halbgegessene Melone einem kleinen, dünnen Mädchen, das abseits am Brunnen saß und ihm mit hungrigen Augen zugesehen hatte. Langsam vor sich hinmurmelnd, als sage er die Suren des Korans auf und gehe durch die heilige Stadt, um Buße für eine schlechte Tat zu tun, strich er durch die Straßen El Hamels, kletterte die steilen Felswege hinauf, zerkratzte sich die Handflächen an den scharfen Kanten und überblickte dann von einem Plateau die unter ihm liegenden Dächer und Höfe.
    Neben ihm, um eine Felsnase kommend, stand plötzlich ein dunkelbrauner, lockenköpfiger Junge und blickte mit ihm über El Hamel. Er setzte sich auf die Steine und kaute an einer Erdnuß, während er den Pilger von der Seite betrachtete.
    Nach einer ganzen Zeit des Schweigens drehte sich der Junge um. »Allah grüße dich«, sagte er laut.
    Dr. Handrick, der die Hausdächer mit den Blicken abtastete und auf jede Kleinigkeit achtete, die Hilde verraten könnte, zuckte erschrocken zusammen. »Allah sei mit dir!« murmelte er.
    »Du bist ein Pilger?«
    »Ja.«
    Der Junge musterte ihn. »Du kommst von weit her? Deine Sprache ist anders als unsere.«
    »Ja.«
    »Woher kommst du?«
    »Aus dem Süden.«
    »Aus Ghardaia?«
    »Weiter.« Dr. Handrick wandte sich ab. Lästiger Bursche, dachte er. Was will er von mir? Soll mein Abenteuer an der Neugier dieses Jungen scheitern? Er hörte, wie sich der Kleine erhob und zu ihm trat.
    An seiner Seite blieb Ferrai stehen und blickte weiter über die Stadt. »Suchst du jemand?« fragte er.
    »Nein.«
    »Dann bewachst du jemand?«
    »Ja«, sagte Dr. Handrick sinnlos. Er wußte nicht, was dieses Ja bedeutete.
    Ferrai verzog den Mund zu einem Grinsen und wies auf ein Haus, das neben einem Treppenweg an einen Felsen gebaut war. »Du bewachst die weiße Frau dort in dem Haus.«
    Dr. Handrick fühlte, wie er zusammenzuckte. Es war ein Schlag, der ihm einen Augenblick die Vernunft nahm. Er wollte den Jungen an der Schulter packen. Aber Ferrai, der dachte, er wolle ihn der Frage wegen schlagen, entwich seinem Griff und rannte in großen Sprüngen den Berg hinab, wo er zwischen den Häusern verschwand.
    Mit zitternden Händen wischte sich Dr. Handrick den Schweiß aus den Augen und trocknete sie dann an der Djellabah ab.
    Das Bewußtsein, so nahe bei Hilde Sievert zu sein, so greifbar ihr Gefängnis vor sich zu sehen, erzeugte in ihm eine merkwürdige, lähmende Unentschlossenheit. Er starrte auf das von Ferrai bezeichnete Haus und stieg dann langsam den steilen Weg hinunter, bis er von einer Felsnase über das Dach und in den Hof sehen konnte.
    In dem Haus rührte sich nichts. Klein, staubig, halb verfallen lag es unter der glühenden Sonne. Auf dem Dach lagen einige Stoffetzen, im Hof lehnte eine Leiter an der Wand. Die Tür ins Innere war aus dickem Holz und schwang in Angeln aus morschem Leder. Handricks Herz krampfte sich zusammen, wenn er daran dachte, daß in dieser Steinhöhle, in diesem dumpfen Loch, das Mädchen gefangen war, das er liebte.
    Über eine Stunde saß er an der Felsnase und blickte auf das Dach. Er sah nicht den schwarzen Kopf Ferrais, der ihn von der anderen Seite des Felsens beobachtete. Als er sich erhob und die Straße
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