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Die Stimme der Erde

Titel: Die Stimme der Erde
Autoren: Catherine Coulter
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fiel. Dann kamen mit Gras und Schilf bedeckte Fallgruben, in deren Tiefen vermutlich auch senkrecht stehende Lanzen lauerten. Die Wagen fuhren jedoch ohne Verzug und ohne Schwierigkeiten an den Hindernissen vorbei.
    Philippa vernahm ein lautes Knirschen. Sieben Meter breite Tore aus dickem Eichenholz öffneten sich und ließen einen zehn Meter langen, schmalen Durchgang frei. Darüber hingen drohend die eisernen Zähne des Fallgitters. Dann rollten die Wagen in den Burghof, auf dem es von Männern, Frauen und Haustieren nur so wimmelte, mehr als man im Burghof auf Beauchamp zu sehen bekam, und Beauchamp war doch doppelt so groß.
    Dutzende jubelnder, grölender Menschen umringten die Wagen. Philippa hatte gerade noch Zeit, den Kopf wieder einzuziehen. Sie hörte nicht, wie sich die Eichentore wieder knirschend schlossen.
    Da wurde Philippa zum erstenmal von lähmender Angst gepackt. Alle Hoffnung verflog. Diesmal hatte sie sich tatsächlich in die Klemme gebracht. Statt mit dem Kopf wieder mal mit den Beinen gedacht. Mit dem Sprung in den schlammigen Burggraben hatte es begonnen. Und mm war sie ganz allein auf einer fremden Burg - als Gefangene oder noch schlimmer. Und dieser entsetzliche Hunger!
    Unter ruckenden Stößen hielt der Wagen. Dutzende von Händen griffen zu und brachten ihn zum Wackeln. Hände bohrten sich von außen in die Wolle. Hände, die ihr näher und näher kamen.
    Dann hörte sie, nun aus größerer Nähe, die Stimme des Anführers. Er sprach von einem Gorkel dem Schrecklichen und seiner wunderbaren Visage. Gleich darauf rebellierte wieder ihr Magen so unzweideutig, daß sie sich bedenkenlos durch die Wolle wühlte, bis sie oben an die frische Luft kam und keuchend Atem schöpfte.
    »Herrgott«, sagte Dienwald und starrte sie an.
    Ein kleiner Junge kreischte: »Was ist das, Papa? Eine Hexe? Ein Druidengespenst? Is ja fürchterlich!«
    Sogar Gorkel fuhr schaudernd vor der Erscheinung zurück und rief: »Is ja noch schrecklicher, als wie ich aussehen tu! Gnade uns Gott! Rette uns aus den Fallstricken des Teufels!«
    Dienwald faßte das erschreckende Wesen fest ins Auge. Es war hochgewachsen, so viel war zu erkennen. Der Kopf war ringsum mit Wolle bedeckt. Es sah aus wie eine Hexe mit Perücke. Mit wilden Armbewegungen schaufelte sie sich frei. Der Wind wehte auf Dienwald zu, und er verzog angeekelt das Gesicht. Das Wesen stank fürchterlicher als viele seiner Bauern, die sich von der Wiege bis zur Bahre niemals wuschen.
    Plötzlich schüttelte sich das Wesen und riß sich mit klebrigen Fingern Wollklumpen vom Kopf. Als das Gesicht freilag, erkannte er, daß es sich um ein weibliches Wesen handeln mußte, das ihn aus erschrockenen Augen ansah, die so blau waren wie der Aprilhimmel.
    Seine Leute waren verstummt wie Trauergäste am Grabe eines Priesters. Alle starrten mit hervortretenden Augen, mit offenem Mund das Wesen an. Dann begannen sie untereinander zu flü-stern. »Ja, Master Edmund hat recht. Muß 'ne Hexe aus'm Sumpf sein.«
    »Nein, 's is, wie Gorkel sagen tut: is 'n böses Ungeheuer, vom Teufel geschickt zu unser Verderben.«
    Edmund schrie: »Is ja 'ne Hexe, Papa! Sie will uns verhexen!«
    »Sei still!« gebot Dienwald seinem Sohn und den Leuten. Gemächlich stieß er Philbo die Hacken in die glatten Flanken. Bis auf anderthalb Meter ritt er an das weibliche Gespenst heran, weiter aber nicht.
    »Ich bin keine Hexe!« rief die Erscheinung mit lauter, klarer Stimme.
    »Wer bist du dann?« fragte Dienwald.
    Philippa wandte sich dem Mann zu. Deutlich sah sie den Ekel auf seinem Gesicht, Nun, das konnte sie ihm nicht übelnehmen. Sie faßte sich ins Haar. Die Wollmütze hatte sie verloren. Ihr Zopf war aufgegangen, und die dichten Locken waren bedeckt mit dem Schlamm aus dem Burggraben von Beauchamp und mit dreckigen Wollklumpen. Sie konnte sich ungefähr vorstellen, wie sie aussah, und fühlte sich sterbenseiend. Die Menschen starrten voller Entsetzen und Abneigung auf sie und riefen alle Schutzheiligen an.
    Und doch war sie Philippa de Beauchamp, ein so wunderbares, schönes Mädchen, daß Ivo de Vescy sie sogar vergewaltigen wollte, nur damit sie seine Frau würde! Nein, es war zu schlimm. In diesem Zustand würde selbst William de Bridgport sie nicht haben wollen. Er würde bei ihrem Anblick laut kreischen wie der kleine Junge vorhin. Bei der Vorstellung, wie er mit wabbelndem Bauch vor ihr davonrennen würde, konnte sie nicht anders, sie mußte laut lachen.
    »Ihr seht mich in großer
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