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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
Autoren: Charlotte Link
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Erinnerungen stürzten über mich her, daß ich an nichts sonst mehr dachte.«
    Der Priester lächelte.
    »Ja, Mary, eine stürmische Epoche haben wir hinter uns, alle beide. Wir stehen hier als erprobte Kämpfer und erinnern uns vergangener Zeiten und Taten. Ich lebe auch mehr in Erinnerungen, als in Gedanken an die Zukunft.«
    Seine Stimme versickerte in ein Flüstern während der letzten Worte, so als spreche er mit sich und nicht mit einem andern Menschen. In Mary erwachten Mitleid, aber auch eine leise Ungeduld. Er irrte sich. Ganz sicher lebte er nur noch in vergangenen Zeiten, in jenen schönen Tagen, da er dem Papst in Rom untertan war und noch nicht jenem willkürlichen Despoten auf dem englischen Thron, aber sie selber war anders.
    Kämpfer, dachte sie, er doch nicht! Ich habe mich mit allen herumgeschlagen und das Beste aus meinem Leben gemacht. Aber er wird das nie können.
    Pater Joshua riß sich aus seinen Grübeleien. »Es sind zwölf Jahre her, seitdem Sie zuletzt in Shadow’s Eyes waren. Ich traute Sie damals
mit diesem Mann, mit Nicolas de Maurois, hieß er nicht so?« Das Gesicht des Priesters sah im Kerzenlicht ängstlich und fragend aus.
    Nicolas war ihm unheimlich, dachte Mary belustigt, ebenso Frederic. Und hätte er erst Charles gekannt! Ich war sein liebstes Kind und irgendwo in seinem Herzen hatte er wohl immer den Wunsch, mich vor den sündigen Umarmungen der Männer zu bewahren.
    »Nicolas war sieben Jahre lang im Tower von London«, sagte sie, »vor wenigen Wochen erst kehrte er zurück.«
    »Im Tower? Sieben Jahre?« Pater Joshua verbiß sich die Frage, was, um alles in der Welt, Mary dann hier allein tat, anstatt bei ihrem Mann zu sein. »O Mary, was müssen Sie durchgemacht haben!«
    »Er war unschuldig und wurde trotzdem zum Tode verurteilt. Doch dann heiratete unser glorreicher König wieder einmal, und alle Gefangenen wurden begnadigt. Sie sehen, ich bin ein Glückskind. Ich darf meinem Schicksal dankbar sein.«
    Bei aller Heiterkeit entging ihm nicht der schwermütige Ton in ihrer Stimme, der ihm bewies, wie sehr sie gelitten haben mußte. Er wollte sie trösten, aber jedes Wort kam ihm banal vor und ein wenig war Mary ihm auch fremd geworden und schüchterte ihn ein. Hilflos griff er nach ihrer Hand und fühlte unter seinen Fingern den weichen Samt ihrer Handschuhe und die Spitzen ihrer Armkrause. Überrascht ließ er sie los. Er hatte nur ihr Gesicht gesehen bisher und auf nichts sonst geachtet, nun senkte er die Laterne und ihr Schein fiel auf den feinen, kunstvoll bestickten Stoff von Marys Kleid.
    »Mary«, sagte er hilflos, »Sie...«
    Sie begriff nicht, was er meinte.
    »Was ist denn?«
    »Sie stehen vor mir wie eine reiche Dame.«
    »Oh ... ja, ich habe etwas Geld. Wissen Sie, ich glaube, ich gehöre zu den Menschen, die man einfach ins Wasser werfen muß, dann schwimmen sie erstaunlich gut. Als Nicolas in den Kerker kam und ich allein mit meinem Kind dastand, hatte ich plötzlich die Kraft, alles zu tun, was ich mir vorgenommen hatte. Und heute«, ihre
Stimme bekam beinahe einen entschuldigenden Ton, »heute habe ich eben Geld.«
    Dem Priester war klar, daß sie nicht nur Geld hatte, sie mußte sogar recht vermögend sein. Gott mochte wissen, wie das zugegangen war, Pater Joshua hoffte, nicht mit dem Teufel. Er entsann sich des Tages, an dem sie hinaus zu den verkohlten Trümmern von Marmalon gegangen, und an das Gesicht, mit dem sie zurückgekehrt war. Noch heute sah er die Entschlossenheit darin und ihm fiel ein, wie er erschrocken gedacht hatte: Sie ist so erwachsen geworden. So unnachgiebig. So hart.
    Er konnte sie jetzt so schwer nur erkennen im trübe flackernden Licht seiner Laterne. Dabei hätte er sie gern genau betrachtet und gewußt, was die Zeit aus ihr gemacht hatte und was noch übrig war von dem ausdrucksvollen Blick ihrer schönen grauen Augen. Im Grunde, das gestand er sich, wollte er wissen, wie sehr er noch das Kind Mary erkennen konnte, um das seine Gedanken von jeher mit größter Sorge gekreist waren. Ein wenig furchtsam fragte er sich, wie teuer sie für alles, was sie erreicht hatte, hatte bezahlen müssen und in welchem Maße sie sich selber dabei verkauft hatte. Mary spürte seine Gedanken und lächelte. Gleich würde er sie fragen, ob sie nicht zur Beichte wollte und die Absolution erlangen.
    »Nun kehren Sie nach zwölf Jahren nach Shadow’s Eyes zurück«, sagte Pater Joshua, »und wir finden keinen besseren Ort uns zu unterhalten, als den
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