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DIE STERBENDE ERDE

DIE STERBENDE ERDE

Titel: DIE STERBENDE ERDE
Autoren: Jack Vance
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Stille.
    Dann rief der Greis: »Ah, du finstere Erscheinung, du versuchst mich an der Ausübung meiner Pflichten zu hindern.
    Aber du hast kein Glück, mein Stab hält deinen unnatürlichen Zauber in Bann. Du bist nichts! Weshalb löst du dich nicht aus der Wand und kehrst nach Jeldred zurück?«
    Noch gefährlicher klang das Schnauben und seltsame Klacken hinter den Wulstlippen. Der Mund öffnete sich weit und legte eine graue fleischige Höhlung frei. Die Augen rollten vor gewaltiger innerer Erregung. Ein Brüllen dröhnte aus dem Mund wie heftigster Donnerschlag, ein Brüllen, das die Luft erschütterte und einem den Verstand zu rauben drohte.
    Der Stab sprühte einen silbrigen Dunst. Dieser Dunst sog das Brüllen ein, bis kein Laut mehr zu hören war, obgleich der wulstige Mund noch zum Schreien verzerrt war. Der Dunst ballte sich zusammen, dehnte sich zu einem Pfeil aus, schnellte sich mit ungeheurer Geschwindigkeit auf die Nase und vergrub sich in der weichen Knolle. Ein grauenvolles Ächzen war zu hören und dann der Knall einer Explosion. Das Gesicht wallte vor Schmerz, und die Nase war nur noch zerfetztes graues Plasma, das sich wie die Schlangen eines Gorgonenhauptes wand und schließlich wieder zusammenwuchs. Jetzt hatte die Nase die Form eines spitzen Kegels.
    »Du bist heute sehr aufsässig, mein dämonischer Besucher –
    sehr unerfreulich. Du möchtest also den armen alten Kerlin ärgern! Ja, du bist wahrhaftig einfallsreich. Aber… Ho, ho, Stab«, er drehte sich um und blickte zu dem Stab hoch. »Du hast das Brüllen gekostet. Spuck eine passende Strafe aus, gib der abscheulichen Visage, was sie verdient.«
    Ein leises Schnalzen, und eine schwarze Peitschenschnur zischte durch die Luft und quer über das Gesicht. Eine anschwellende Strieme hob sich ab. Die gräßliche Fratze ächzte, und die Augen verkrochen sich in den grünlichen Hautlappen.
    Kerlin, der Kurator, lachte. Es war ein schriller, eintöniger Laut, der abrupt endete, als hätte es ihn nie gegeben. Kerlin wandte sich zu Guyal und Shierl um, die aneinandergeschmiegt gegen den Türrahmen kauerten.
    »Was soll das? Was soll das? Ihr seid noch nach dem Gong hier! Die Studiumstunden sind längst vorbei. Weshalb seid ihr noch hier?« Er schüttelte tadelnd den Finger. »Das Museum ist kein Nachtquartier, das sage ich euch. Also geht, geht nach Hause, heim nach Thorsingol. Und trödelt das nächstemal nicht so, ihr stört die Zeitordnung…« Er hielt inne und warf einen verärgerten Blick über die Schulter zurück. »Geht denn heute alles schief? Der Nachtwächter ist unentschuldbar spät… Eine Stunde warte ich gewiß schon auf den Faulpelz. Doch ich werde es dem Lykurgat melden. Ich will heim zu Bett und Herd. Es ist unverzeihlich, den alten Kerlin bis in die Nachtstunden hier zu halten… Und dann noch ihr beiden Trödler. Nach Hause mit euch, hinaus! Hinaus!« Er kam auf sie zu und deutete mit dem ausgestreckten Arm.
    »Mein Herr Kurator«, sagte Guyal. »Ich muß mit Euch sprechen.«
    Der alte Mann kniff die Augen zusammen und blieb stehen.
    »Eh? Was soll das? Nach einem langen schweren Tag! Nein, nein, Ihr erlaubt Euch zuviel. Ihr müßt Euch schon nach den Vorschriften richten. Kommt zu meinem Audiarium zur vierten Stunde morgen früh, dann werde ich Euch anhören. Also geht, geht!«
    Guyal starrte ihn nur verwirrt an. Shierl fiel auf die Knie.
    »Herr Kurator, wir flehen Euch um Eure Hilfe an. Wir haben keine Bleibe.«
    Kerlin blickte sie kopfschüttelnd an. »Keine Bleibe! Was redet Ihr da für Unsinn? Geht in Euer Heim oder in eine der Herbergen oder in den Tempel oder in eine öffentliche Unterkunft. In Thorsingol findet Ihr überall ein Nachtlager.
    Das Museum jedoch ist keine Taverne.«
    »Hoher Herr«, rief Guyal verzweifelt. »Hört mich an, ich bitte Euch. Es geht um Leben und Tod.«
    »So sprecht«, forderte ihn der Kurator verwundert auf. »Ein böser Geist hat Euer Gehirn verwirrt.«
    »Oh, wirklich?« murmelte der Kurator nachdenklich. »Es gibt kein Thorsingol. Es gibt nichts als dunkle Öde. Eure Stadt ist schon vor Äonen zu Staub zerfallen.«
    Der Kurator lächelte milde. »Wie schrecklich… Ein bedauernswerter Fall. Aber so sind diese jungen Leute.
    Überanstrengung und Übertreibung schaden eben dem Gehirn.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß, was meine Pflicht ist. Müde Knochen, ihr müßt noch eine Weile auf die wohlverdiente Ruhe warten. Müdigkeit – verlaß mich! Pflicht und Menschlichkeit fordern viel.
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