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DIE STERBENDE ERDE

DIE STERBENDE ERDE

Titel: DIE STERBENDE ERDE
Autoren: Jack Vance
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wie Wein, strichen schräg über die knorrigen Bäume des archaischen Waldes und ließen den Moosboden aufleuchten.
    Die Sonne ging in ihrem alten Ritus unter. Die Spätnachmittagnacht fiel über den Wald und brachte eine sanfte, warme Dunkelheit, während Turjan trübsinnig über den Tod seiner letzten Schöpfung grübelte.
    Er dachte an ihre vielen Vorgänger: das Wesen nur aus Augen; die Kreatur, deren pulsierendes Gehirn offenlag; den wunderschönen Frauenkörper, aus dem die Gedärme wie Fühler in die Nährlösung hingen; die Geschöpfe, deren Inneres nach außen gedreht war… Turjan seufzte herzerweichend. Mit seinen Methoden stimmte etwas nicht. Ein fundamentales Element fehlte seiner Synthese, eine Schablone, die die Einzelteile des Musters richtig anordnete.
    Während er über das sich verdunkelnde Land blickte, entsann er sich plötzlich eines ähnlichen Abends vor mehreren Jahren, als der Weise neben ihm auf dem Dach gestanden hatte.
    »In alter Zeit«, hatte der Weise gesagt, »gab es tausend Zaubersprüche, und die Hexer wußten sie wohl zu nutzen.
    Heute, da die Erde stirbt, sind lediglich noch hundert bekannt, und von ihnen wissen wir nur aus alten Büchern… Aber einen Magier gibt es noch, Pandelume mit Namen, der kennt alle Zaubersprüche, alle Formeln, alle Beschwörungen, alle Runen und Symbole, die je den Raum krümmten und formten…«
    Dann versank er tiefsinnig in die Betrachtung eines nahen Sterns.
    »Wo ist dieser Pandelume?« hatte Turjan ein wenig ungeduldig gefragt.
    »Er lebt im Lande Embelyon«, war des Weisen Antwort gewesen. »Doch wo dieses Land liegt, weiß niemand.«
    »Wie dann kann man Pandelume finden?«
    Der Weise hatte gelächelt. »Sollte es je notwendig sein, gibt es einen Zauberspruch, der einen dorthin bringen kann.«
    Beide hatten einen Augenblick lang geschwiegen, dann sprach der Weise, während er über den Wald hinwegblickte.
    »Man kann Pandelume alles fragen. Und Pandelume wird antworten – vorausgesetzt, der Bittsteller bewältigt eine Aufgabe, die der Magier ihm stellt. Und Pandelume verlangt einen hohen Preis für seine Hilfe.«
    Dann hatte der Weise Turjan die Formel gelehrt, die er in einem uralten Buch gefunden und bisher noch niemandem verraten hatte.
    Immer noch in Gedanken an ihre damalige Unterhaltung stieg Turjan zu seinem Studierzimmer hinunter – ein langer, niedriger Raum mit Steinwänden und einem Fliesenboden, den ein dicker rostfarbener Teppich wärmte. Die Werke, denen Turjan seine Zauberkräfte entlehnte, lagen auf einem schwarzen Metalltisch oder waren wirr durcheinander in Regalen untergebracht. Es handelte sich um kostbare Bücher, die von vielen Magiern längst vergangener Zeit zusammengetragen worden waren, auch um fleckige und zerknitterte lose Blätter, die der Weise gesammelt hatte, und um einen dicken, ledernen Band mit hundert wirksamen Zaubersprüchen, die so kompliziert waren, daß Turjan nicht mehr als vier zur gleichen Zeit behalten konnte.
    Turjan kramte, bis er ein mit Stockflecken überzogenes Buch fand. Er blätterte darin und schlug die Seite auf, die der Weise ihm gezeigt hatte. Der gesuchte Zauber hieß Die Beschwörung der Violetten Wolke. Er starrte hinunter auf die Buchstaben. Sie brannten ihm entgegen, schienen sich aus dem Papier zu heben, als wollten sie sich verzweifelt aus der dunklen Einsamkeit des Buches lösen.
    Turjan klappte den Band zu und zwang diesen neugelernten Zauberspruch tief in sein Unterbewußtsein. Anschließend warf er sich ein kurzes blaues Cape um die Schultern, schob eine Klinge in den Gürtel und streifte das Amulett mit Laccodels Rune über sein Handgelenk. Jetzt erst setzte er sich nieder, um aus einem handgeschriebenen Heft die Sprüche auszuwählen, die er mitnehmen wollte. Er hatte keine Ahnung, welche Gefahren ihn erwarten mochten, deshalb entschied er sich für drei Zauber allgemeiner Art, nämlich die der Exzellenten Prismatischen Berieselung, Phandaals Tarnspruch und den Zauber der Kurzen Stunde.
    Nun stieg er hinauf zur Brustwehr seiner Burg und atmete unter den fernen Sternen tief die Luft der alten Erde ein… Wie viele Male war diese Luft schon vor ihm geatmet worden?
    Welche Schmerzensschreie hatte sie getragen? Welches Seufzen? Welches Stöhnen? Welches Schlachtgebrüll? Welche Jubeltöne? Welches Keuchen und Röcheln?
    Die Nacht schritt voran. Ein blaues Licht flackerte im Wald.
    Turjan betrachtete es einen Augenblick lang, endlich nahm er all seinen Mut zusammen. Er rief den
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