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DIE STERBENDE ERDE

DIE STERBENDE ERDE

Titel: DIE STERBENDE ERDE
Autoren: Jack Vance
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es aus jedem Atom –
    der ganze Raum war von geradezu belebender Helligkeit. Ein weicher, dicker Teppich bedeckte den Boden. Direkt neben der Tür lag ein kunstvoller Waffenrock, in Gold, Braun, Bronze, zweierlei Grüntönen, verschwommenem Rot und Kobaltblau bestickt in einem Glaskasten. Herrliche Stücke menschlicher Mode alter Zeiten waren daneben zur Schau gestellt. Entlang den Wänden reihten sich Tafeln aus edlem Holz, manche mit Reliefschnitzerei, andere mit ziseliertem Metall oder prachtvoller Emaillearbeit. Szenen aus alter Zeit waren auf gewebte und geflochtene Materialien gemalt. Unbeschreibbare Farbenmuster regten Sinne und Gemüt an.
    An einer Seite der riesigen Halle waren Holzplatten, die rautenförmig mit Speckstein, Malachit und Jade eingelegt waren, und dazwischen glitzerten winzige Stückchen Zinnober, Rhodochrosit und Koralle. Gleich daneben waren leuchtend grüne Scheiben ausgestellt, die in verschiedenen Blautönen fluoreszierten, und darüber huschten Pünktchen in Rot und Schwarz. Anschließend fanden sich die Abbildungen von dreihundert wundervollen, verschiedenartigen Blumen einer vergangenen Zeit – eine Blütenpracht, wie die sterbende Erde sie längst nicht mehr hervorbringen konnte. Und genau so viele, den Schneeflocken nachgeahmte Sternenmuster von bezaubernder Feinheit waren zu sehen, und jedes unterschied sich vom anderen. All das und noch vieles mehr hatten begnadete Künstler hier für die Ewigkeit geschaffen.
    Die Tür fiel hinter ihnen mit einem stumpfen Laut ins Schloß. Ein kalter Schauder rann über den Rücken der beiden, aber sie sahen sich weiter um.
    »Irgendwo muß doch der Kurator sein!« flüsterte Guyal.
    »Alles hier ist gut instandgehalten und gepflegt.«
    »Dort!« wisperte Shierl. »Seht!«
    Direkt gegenüber befanden sich zwei Türen, die offensichtlich viel benutzt wurden. Guyal schritt darauf zu, aber er konnte keinen Öffnungsmechanismus finden. Sie hatten weder Klinke, Knopf, Riegel, Schloß oder Schlüssel. Er klopfte an einer, wartete, aber nichts rührte sich.
    Shierl zupfte ihn am Ärmel.
    »Es sind gewiß Privatgemächer, wir dürfen nicht ungebeten eindringen.«
    Guyal drehte sich um. Sie schritten weiter durch die riesige Museumshalle. Vorbei an den Werken unsterblicher Meister kamen sie, an unbeschreiblichen Erfindungen. Ehrfürchtig bestaunten sie alles.
    »Welch schöpferische Geister sind zu Staub zerfallen«, murmelte Guyal. »Welch große Seelen gerieten in Vergessenheit… Nie wieder wird es ihresgleichen geben. Jetzt, in den letzten flüchtigen Augenblicken, verwest die Menschheit wie faulige Früchte. Statt zu versuchen, unsere Welt wieder in den Griff zu bekommen und sie zu beherrschen, ist unser einziges Ziel, sie durch Zauberei zu erniedrigen.«
    »Aber Ihr, Guyal«, wandte Shierl ein, »Ihr seid anders. Ihr seid nicht wie…«
    »Darum sehe ich die Dinge auch, wie sie sind!« rief Guyal heftig. »Seit meiner Kindheit treibt mich dieser Drang nach Erkenntnis, und nur damit ich diesen Wissensdurst vielleicht zu stillen vermag, habe ich mein Zuhause in Sfere verlassen, um den Kurator aufzusuchen… Mir mißfallen diese gedankenlosen Zaubereien der Magier, die ihre Kunst nur der zufälligen Überlieferung verdanken.«
    Shierls Augen hingen voll Bewunderung an ihm, und Guyals Herz wurde weit vor Liebe zu ihr. Sie spürte, wie er zitterte, und flüsterte kühn: »Guyal von Sfere, ich verzehre mich nach dir…«
    »Wenn wir den Frieden gewinnen«, murmelte Guyal und drückte sie an sich, »dann wird die Welt voll Glück für uns sein…«
    Wieder machte die Wand eine Biegung. Der Raum verbreiterte sich. Das Klacken, das sie in der dunklen Vorhalle gehört hatten, wurde lauter, klang noch furchterregender. Es schien durch eine Bogentür ihnen gegenüber zu kommen.
    Leise schlich Guyal zu dieser Tür, Shierl dicht hinter ihm, und sie spähten in das anschließende Zimmer, dessen Tür sich öffnen ließ.
    Ein riesiges Gesicht starrte aus der Wand, ein Gesicht, größer als der ganze Guyal – so hoch, wie er wäre, wenn er die Hände über den Kopf heben würde. Das Kinn der Kreatur ruhte auf dem Boden, der Hinterkopf steckte schräg in den dunklen Paneelen.
    Guyal riß erschrocken die Augen auf. In dieser Pracht herrlichster Kunstwerke war die gräßliche Fratze von einer Dissonanz, wie nur ein krankes Gehirn sie sich ausdenken konnte. Ja, abstoßend häßlich war die Visage und so obszön, daß es einem den Magen umdrehte. Die Haut glitzerte in
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