Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die steinerne Pforte

Die steinerne Pforte

Titel: Die steinerne Pforte
Autoren: Prevost Andre
Vom Netzwerk:
Natur?
    Er blieb stehen. Von hier aus konnte er die Dorfbewohner besser erkennen. Zumindest eine Gruppe von ihnen, die sich neben einer Art Schafgehege versammelt hatten. Sie schienen miteinander zu reden und mit dem Finger auf ihn zu zeigen. Es waren nur Männer, genauso seltsam gekleidet wie er. Sie steckten alle in langen braunen Gewändern mit einer merkwürdigen Kordel als Gürtel. Sam schlug sich an die Stirn. Natürlich: Mönche! Eine ganze Insel voller Mönche! Wenn er das seinem Vater erzählen würde!
    Zögernd setzte er seinen Weg fort. Er konnte sich nicht erinnern, dass es in der Gegend eine religiöse Einrichtung gegeben hätte. Sein Schwächeanfall im Keller war offenbar sehr ernst genommen worden, wenn man ihn so weit von zu Hause fortgeschickt hatte. Zweifellos war er wohl mehrere Tage bewusstlos gewesen. Obwohl er sich, abgesehen von der Übelkeit, eigentlich gar nicht so schlecht fühlte ...
    Jetzt kamen die Männer geradewegs auf ihn zu. Durcheinanderlaufend und wild gestikulierend. Einzelne schwenkten drohend Stöcke oder Schwerter. Wieder krampfte sich Sams Magen zusammen. Irgendwann einmal hatte er eine Reportage über einen Verein von Mittelalterfans gesehen, die sich jedes Wochenende trafen, um zu leben wie zur Zeit der Kreuzzüge. Verrückte, seiner Meinung nach ... Aber er hatte wohl keine Wahl: Außer ihnen schien niemand sonst auf der Insel zu leben. Ihre Stimmen drangen allmählich bis zu ihm, einzelne Laute, unzusammenhängende Satzfetzen, von den wirbelnden Windböen davongetragen:
    »Dia dite ... «
    »Go rev . . . me agot ... «
    Es erinnerte beinahe an die Elfensprache im Herr der Ringe. Damit wollten sie sicher dem Ganzen das passende Lokalkolorit verleihen.
    »Bhiag Colum-Chill! Acht bhi. . .«
    Sam räusperte sich und hob schüchtern die Hand zur Begrüßung.
    »Hallo!«
    Sie waren jetzt auf weniger als zwanzig Meter herangekommen.
    ». . . uaignigh nab-Alban?«
    In diesem Moment geschah etwas, das noch merkwürdiger war als alles, was er bis dahin erlebt hatte: Ohne dass er auch nur die geringste Anstrengung unternehmen musste, verstand Sam plötzlich, was diese Leute sagten! Was ihm noch vor einer Sekunde als fremde Sprache mit unverständlichen gutturalen Lauten erschienen war, kam ihm im nächsten Augenblick vor, als hätte er von Geburt an nichts anderes gesprochen!
    »Ich habe es euch doch gesagt!«, rief ein buckliger Mann mit Bart aus. »Er ist ganz plötzlich aufgetaucht, einfach so, in der kleinen Bucht von Colum-Chill!« »Er ist einer ihrer Spitzel«, stieß ein anderer hervor und starrte ihn anklagend an. »Er kommt als Kundschafter, er kommt, um uns zu bestehlen!«
    »Das genügt!«, unterbrach sie der, der vorangegangen war und dem Alter nach der Anführer sein musste. »Hören wir erst, was er uns zu sagen hat. Gott in seiner unendlichen Güte schickt uns vielleicht seinen letzten Boten . . . Woher kommst du, Kleiner?«
    »Er muss gekentert sein«, warf ein großer Magerer dazwischen, ehe Sam etwas erwidern konnte. »Zu dieser Jahreszeit sind die Fischer mit ihren Booten auf dem Meer unterwegs und . . .«
    »Wirst du wohl schweigen, Bohnenstange?«, schnitt ihm der Anführer das Wort ab. »Er ist sicher gewitzt genug, um für sich selbst zu sprechen, oder nicht?«
    Samuel versuchte, mit aller Kraft das Zittern zu unterdrücken, das seine Knie zu erfassen drohte. Er fragte sich, welche ungewohnten Laute wohl gleich aus seinem Mund kommen würden. Und was den Grund für seine Anwesenheit auf der Insel betraf, war es sicher ratsam, nicht allzu präzise zu werden. Diese Leute benahmen sich ohnehin schon seltsam genug.
    »Ich . . . ich bin gekentert«, stieß er hervor – ein Schwall aus elfischen Lauten. »Mein . . . mein Boot ist gekentert.«
    »Da hört ihr’s!«, sagte die Bohnenstange wohlwollend.
    »Lügner!«, rief der Bucklige. »Er ist einfach so aufgetaucht!«
    »Komm schon, Bruder, du musst doch zugeben, dass deine Augen nicht mehr die jüngsten sind!«, wandte der Ältere ein. »Und da es sich um die Bucht von Colum-Chill handelt, ist das vielleicht ein Zeichen . . . Hat unser Herr nicht immer über uns gewacht, meine Brüder?«
    »Ja, ehrwürdiger Bruder Abt«, stimmten die anderen im Chor zu.
    »Trotz der wüsten Zeiten, in denen wir leben, kann uns doch aus der Bucht von Colum-Chill kein Unheil drohen, nicht wahr? Niemals würde der Herr zulassen, dass unsere Feinde einen heiligen Ort wie diesen besudeln ... Wir können also, solange das Gegenteil
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher