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Die steinerne Pforte

Die steinerne Pforte

Titel: Die steinerne Pforte
Autoren: Prevost Andre
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nicht bewiesen ist, davon ausgehen, dass dieser Junge auf unserer Insel gestrandet ist. Und wer weiß, was seine Ankunft für uns bedeuten mag? Die Wege des Herrn mögen zuweilen verschlungen sein, aber sie führen doch stets zur Weisheit.«
    Dann wandte er sich an Samuel: »Wie lautet dein Name, mein Junge?«
    »Sam«, brachte dieser nach kurzem Zögern heraus.
    »Saum«, wiederholte der Abt mit einem tief klingenden »um« . . . »Bist du getauft, Saum?«
    Sam nickte und antwortete unwillkürlich: » Ta. «
    »Demnach kennst du das Zeichen des Kreuzes?«
    Angesichts der forschenden Blicke kam Sam zu der Einschätzung, dass eine direkte Demonstration sicher das Beste wäre: Er berührte mit drei Fingern erst seine Stirn, seine Brust und dann die Schultern. Seine Geste wurde mit einem vielstimmigen »Amen!« aufgenommen, und wie durch ein Zauberwort verschwanden die eben noch drohenden Stöcke und Schwerter. Der Abt lächelte ihn an.
    »Perfekt, Saum. Nach allem, was ich sehe, bist du ein guter Christ und keiner von diesen Wilden des Teufels ! Nun, du warst also auf einem Fischerboot, richtig?«
    Sam nickte. Was hätte er sonst sagen sollen?
    »Also gut, Saum, bis auf Weiteres wirst du dich für die nächsten Tage unserer Gemeinschaft anschließen. Du wirst im Stall schlafen, wo unser Wirtschafter dir einen Ballen Stroh geben wird. Es wird dir untersagt, den Schlaftrakt und den Keller zu betreten, und was die Kirche und das Skriptorium betrifft, so darfst du dich dort nur in Begleitung eines der Unseren aufhalten. Hier, Bruder Ranald, zum Beispiel. Da er bereits mit so viel Überzeugung für dich eingetreten ist, soll er auch die Verantwortung für dich übernehmen. Mit allen Pflichten und Einschränkungen, die damit verbunden sind, versteht sich!«
    Es lag ein warnender Unterton in diesen Worten, der Bruder Ranald – der von den anderen Bohnenstange genannt wurde – offenbar nicht entgangen war, denn er verneigte sich ehrerbietig.
    »Zu deinem Unglück empfängt dich unsere schöne Insel Iona leider in ihrer dunkelsten Stunde«, fuhr der Abt fort. »Vielleicht wirst du dir bald sogar wünschen, du wärest mit deinem Boot untergegangen. Die weißen Fremdlinge sind unterwegs. Zwei Tagesreisen mit dem Schiff von hier haben sie bereits andere Klöster und Siedlungen geplündert. Zudem sind wir bei Weitem die Reichsten hier in der Gegend, und das wissen sie nur allzu gut. Ich hoffe also nicht, dass dich das gleiche Schicksal treffen wird wie uns, Saum.«
    Er versetzte ihm einen Klaps in den Nacken, der wohl väterlich gemeint war, Sam aber beinahe umgeworfen hätte.
    »Gott will uns prüfen, mein Junge! Vielleicht werden wir sogar kämpfen müssen . . . Aber lasst uns nun gehen, für heute Abend zeichnet sich kein Unheil am Horizont ab, wir werden ruhig schlafen können.«
    Damit wandte er sich um und wollte sich auf den Weg zurück ins Dorf machen, doch Samuel brannte darauf, mehr zu erfahren:
    »Entschuldigen Sie, ehrwürdiger Vater, könnt Ihr mir vielleicht. . .«
    Der Abt drehte sich auf dem Absatz um und funkelte ihn unter drohend zusammengezogenen Augenbrauen an: »Die erste Regel, die du dir merken musst, Saum, der Fischer«, donnerte er, »ist Schweigen. Hier spricht niemand, es sei denn, ich habe ihn etwas gefragt oder es ist für die Erfüllung seiner Aufgabe unerlässlich. Und vor allem nicht innerhalb der Klostermauern . . . Wirst du dir das merken können? Bruder Ranald, Ihr wacht in Zukunft darüber, dass unser Schützling die Regeln der Gemeinschaft beachtet.«
    Bruder Ranald eilte an Samuels Seite und bedeutete ihm mit den Augen, demütig den Blick zu senken.
    Sam musste sich bald eingestehen, dass dies hier keine kostümierten Fanatiker waren, die so ihr Wochenende verbrachten. Diese Leute spielten kein Theater, es handelte sich um echte Mönche. Wenn auch ziemlich vorsintflutliche Mönche, die von einem Lichtjahre entfernten Planeten zu kommen schienen, jedenfalls wenn man sich die Bedingungen ansah, unter denen sie hier lebten! Ihr Kloster bestand aus einer Ansammlung Bretterbuden mitten auf einem Schlammhügel. Allein die Kirche in der Mitte, mit ihrem seltsamen Glockenturm, erinnerte entfernt an die Zivilisation. Aber der Rest. . .
    Samuel wurde als Erstes zum Stall gebracht, wo ihm der Wirtschafter ein Lager einrichtete, indem er direkt neben der einzigen Kuh im Stall ein Bündel Stroh auf den Boden warf. Er reichte Samuel auch noch ein mottenzerfressenes Gewand mit Kapuze und eine dicke
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