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Die steinerne Pforte

Die steinerne Pforte

Titel: Die steinerne Pforte
Autoren: Prevost Andre
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einer Woche eingegangen. Die vom Judoverein war nicht aufgezeichnet worden, aus gutem Grund: Der Speicherplatz war erschöpft.
    Ein Anruf allerdings unterschied sich von den anderen. Eine weit entfernt, metallisch klingende Stimme, die entweder durch die Distanz oder die schlechte Verbindung verzerrt klang:
    »Allan? Ich bin’s . . . Ich weiß, dass du da bist . . . Stell dich nicht so idiotisch an, antworte! Allan, hörst du mich? Antworte, zum Teufel!«
    Eine lange Pause, dann: »Okay, ich wollte dich nur warnen . . .«
    Danach hatte der mysteriöse Anrufer aufgelegt. Sam spulte das Band mehrere Male zurück. Der Anruf war einen Tag nachdem sein Vater verschwunden war, aufgezeichnet worden. Es klang wie eine Drohung, und – was ihn noch mehr beunruhigte – die Stimme kam ihm seltsam vertraut vor. Doch Samuel kam beim besten Willen nicht darauf, zu wem sie gehörte. Gab es da eine Verbindung zu diesem plötzlichen Verschwinden? Diese rätselhafte Warnung könnte ein Hinweis sein. Vielleicht auch nicht, wenn man bedachte, dass Allan keine der Nachrichten abgehört haben konnte. Also?
    Sam hatte eine Idee: Er drückte auf die Wiederwahltaste des Telefons, die zu der letzten Verbindung führte, die von diesem Apparat aus angewählt worden war. Sein Vater hatte seit drei Jahren kein Auto mehr und fuhr oft mit dem Taxi. Er konnte eins bestellt haben, das ihn zum Bahnhof oder zum Flughafen bringen sollte ... Die Taxigesellschaften waren verpflichtet, alle Fahrten zu speichern – das hatte er in einer Krimiserie gelernt –, auf diese Weise könnte man herausfinden . . .
    »Hallo?«, krächzte eine verrostete Stimme am anderen Ende.
    Wenn das die Telefonistin der Taxizentrale war, sollte sie mit dem Rauchen aufhören. Sofort.
    »Ja, hallo«, begann Samuel vorsichtig, »ich hätte gern eine Auskunft. . .«
    »Wie bitte?«, brüllte die Stimme verwirrt.
    »Ich hätte gern eine Auskunft. Mein Vater hat Sie vor ein paar Tagen angerufen und . . .«
    »Lauter, zum Kuckuck!«
    Zum Kuckuck ... Das war Max! Der stocktaube kauzige Nachbar, der nur drei Schritte entfernt wohnte!
    »Max? Sind Sie es, Max?« »Was wollen Sie?«
    »Max, hier ist Sam, der Sohn von Allan Faulkner, vom Antiquariat, mein Vater muss Sie vor ungefähr zehn Tagen angerufen haben . . .«
    »Antik-w«? »Ich brauche nichts, merken Sie sich das, und bestimmt keine Antiquitäten! Verfluchte Halsabschneider!«
    Aufgelegt.
    Samuel stand einige Sekunden ratlos da, den Hörer noch in der Hand. Das Beste wäre, direkt bei Max vorbeizuschauen. Sein Vater musste ihn angerufen haben, um ihm die Schlüssel zu bringen und ihn zu bitten, die Blumen zu gießen oder etwas in der Art . . . Hatte er ihm vielleicht auch verraten, wohin er wollte? Einen Namen, eine Adresse...? Auch wenn der alte Brummbär oft nur schwer zu verstehen war, immerhin war es seine einzige Spur.
    Sam wollte gerade seine Tasche nehmen und gehen, als sein Blick auf die Kellertür fiel. Grandpa hatte versichert, dass er auch im Keller nachgesehen hatte . . . Sam zögerte einen Moment. Los, es würde ihn weniger als eine Minute kosten. Er machte Licht und ging die Kellertreppe hinunter, die über zwei Absätze ins Lager führte. Allan hatte hier unten in Metallregalen stapelweise Bücher zwischengelagert, haufenweise leere Kartons und Material, um Bindungen auszubessern. An der hinteren Wand hing ein großer Wandteppich, wahrscheinlich zum Schutz vor Feuchtigkeit und Kälte. »Wahrscheinlich«, vermutete Sam, denn er war nur drei oder vier Mal im Keller gewesen, ganz am Anfang kurz nach dem Einzug. Es war eindeutig das Reich seines Vaters. Wie dem auch sei, heute war jedenfalls niemand im Keller.
    Er war schon halb die Treppe hinauf, als er sich eines Besseren besann. Irgendetwas an diesem Kellerraum stimmte nicht, war anders als sonst. Nicht, wie er es in Erinnerung hatte. Man konnte fast meinen, dass er ... ja, dass er kleiner geworden war. Auch wenn es idiotisch klang. Doch das einzige Fach, in dem Sam in der Schule glänzte, war Zeichnen, und auf seine räumliche Wahrnehmung konnte er sich verlassen. Er schritt den Abstand bis zur hinteren Wand ab: eins, zwei, drei, vier, fünf. Die Rechnung ging nicht auf, da fehlten gut zwei Meter, um auf sieben oder acht Schritte zu kommen. Was bedeutete . . .
    Der Wandbehang, eine Reproduktion mit mittelalterlichen Motiven, zeigte ein Einhorn mit einer hübschen Prinzessin. Er drückte mit dem Finger dagegen und spürte dahinter einen Widerstand. Nein, die Wand
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