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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima
Autoren: Franziska Wulf
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letzten fünf Jahre Tag für Tag aufgesucht hatte, war nicht wiederzuerkennen. Sie hatte sich in ein verwirrendes Labyrinth verwandelt. Das flackernde Licht spiegelte sich in den glatten Kacheln und verzerrte die Dimensionen des Raums, sodass die kleine, kaum acht Quadratmeter große Schleuse plötzlich die Ausmaße eines Ballsaals zu haben schien. Regale und Wäschesäcke mutierten zu grotesken Möbelstücken und Accessoires einer anderen Welt. Vielleicht hatten die Erfinder von Alien auch in so einem Licht gestanden, bevor sie das entsetzliche Monster aus dem All schufen?
    Nur die Ruhe bewahren!, ermahnte sich Beatrice und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit und den allmählich einsetzenden Schwindel an. Du musst bloß den Lichtschalter oder den Türöffner finden, dann kannst du diesem Spuk ein Ende bereiten.
    Doch in einem düsteren Winkel ihres Gehirns malte sie sich aus, dass der Lichtschalter nicht funktionieren würde, die Tür sich nicht öffnen ließe, und erst am nächsten Morgen würde man sie finden, mit verkrampften Gliedern und Schaum vor dem Mund…
    Diese Vorstellung reichte, um Beatrice endgültig in Panik zu versetzen. Sie rannte quer durch den Raum, stieß mit dem Knie schmerzhaft gegen ein Regal, warf einen Wäschesack um, fiel hin und verhedderte sich in der OP-Wäsche, die in dem zuckenden Licht ein gespenstisches Eigenleben zu entwickeln schien. Nur mühsam unterdrückte sie einen wilden Schrei des Entsetzens und kämpfte sich aus der kalten Umarmung eines OP-Hemds frei. Auf allen vieren kroch sie voran. Die Übelkeit wurde immer schlimmer. Und zu allem Überfluss begann sich nun auch noch der Raum um sie herum zu drehen, schneller und immer schneller, bis er jegliche Kontur verloren hatte. Beatrice gab es auf, weiterzukriechen. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie wusste nicht mehr, wo oben und unten war, sie hatte sogar die Orientierung über ihren eigenen Körper verloren. Sie ballte auf dem Boden kauernd ihre Hand um den blauen Stein zur Faust, der in diesem Wirbel aus Licht und Formen das einzige Fassbare und Ruhende zu sein schien. Beatrice sah noch, wie sich plötzlich eine Tür öffnete, eine Tür, von der sie geschworen hätte, dass sie nicht mehr existierte. Gleißendes Licht flutete über sie hinweg, und der Raum verlangsamte seine Kreisbewegungen. Noch bevor er endgültig zum Stehen kam, verlor Beatrice das Bewusstsein.

2
     
     
     
    Das leise, unverständliche Gemurmel vieler Stimmen in weiter Ferne drang in Beatrices Bewusstsein. Sie klangen gedämpft, und für einen Augenblick fragte sie sich, ob sie sich vielleicht Watte in die Ohren gestopft hatte. Aber nein, das war unwahrscheinlich. Sie hasste das Gefühl von Fremdkörpern im Ohr und benutzte deshalb niemals Lärmstopps oder ähnliche Dinge. Sie trug noch nicht einmal Ohrringe. Aber wieso hörte sie dann nicht deutlich, was um sie herum vorging? Und warum lag sie mit geschlossenen Augen auf dem Rücken? Ihr Dienst war doch noch lange nicht vorbei. Oder träumte sie vielleicht? Lag sie zu Hause in ihrem weichen Bett, und die gedämpften Geräusche waren nichts anderes als die Stimmen ihrer Nachbarn, die mal wieder eine lautstarke Auseinandersetzung mit ihrem sechzehnjährigen Sohn hatten? Dann fiel ihr endlich ein, was in der Schleuse passiert war, und allmählich gelangte sie zu der Erkenntnis, dass sie gerade aus einer Bewusstlosigkeit erwachte. Allerdings lag sie nicht mehr auf dem kalten, harten Kachelboden der Schleuse. Also mussten die Kollegen sie gefunden und woandershin gebracht haben. Aber wohin? Beatrice hatte keine Lust, die Augen zu öffnen und sich einfach umzusehen. Zu sehr genoss sie es, nach diesem langen und anstrengenden Dienst einfach nur dazuliegen und abzuwarten. Also begann sie zu raten.
    Der Untergrund, auf dem sie lag, war nicht besonders weich, aber er gab nach, und bei jeder noch so kleinen Bewegung knisterte es unter ihr, als würde sie auf einem Strohsack liegen. Das war natürlich Unsinn. Wahrscheinlich handelte es sich um das Kunstleder einer Liege, das unter ihrem Gewicht ächzte und knarrte. Natürlich! Die Kollegen mussten sie auf die Aufnahmestation gebracht haben, um sie zu untersuchen.
    Das führte sie zur Kernfrage: Was war mit ihr los? War sie verletzt? Hatte sie den von ihr befürchteten epileptischen Anfall erlitten, oder war sie einfach nur ohnmächtig geworden? Beatrice überprüfte ihre Körperfunktionen und war erleichtert – was auch immer mit ihr los war, sie hatte
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