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Die Staufer und ihre Zeit

Die Staufer und ihre Zeit

Titel: Die Staufer und ihre Zeit
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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rebellierte die Eigensinnige nie, im Gegenteil: Alles, auch schlafen, schrieb sie, solle der Mensch nicht »über die Maßen«.
    Als Jutta von Sponheim 1136 starb, wählte die Nonnenschar, durchaus geschickt, Hildegard zur »Meisterin«: Die Bermersheimerin stammte aus einer begüterten Familie, die sowohl im Klerus wie im Hochadel mächtige Verbündete hatte. Zwei von Hildegards Brüdern hatten hohe kirchliche Ämter inne, der Erzbischof von Trier war ein Neffe. Zu Hildegards Eintritt in den Orden schenkte ihre Familie dem Kloster Grundstücke; auch die Namen von vier ihrer Schwestern tauchen im Güterverzeichnis auf.
    Demütig nennt sich Hildegard zwar in ihren Briefen an die Mächtigen und Gelehrten ein »armseliges Gebilde«, leider »ignota« (ungelehrt). Wahr daran ist, dass sie eine Autodidaktin ohne formale Bildung war. Ihre steile Karriere hätte sie »ohne ihre Connections, etwa zur Familie von Sponheim, nicht geschafft«, erklärt Mayer. Schon zu Lebzeiten erlangte die Nonne den Status einer Heiligen, zu der man pilgerte.
    Sie hielt die Ständeordnung für von Gott gewollt: »Er hat acht, dass der geringe Stand sich nicht über den höheren erhebe, wie Satan und der erste Mensch getan.« Auch in die eigene Gemeinschaft ließ sie nur adlige Nonnen.
    Die »Erleuchtung« in ihrem Leben kam 1141. »Als ich zweiundvierzig Jahre und sieben Monate alt war, kam ein feuriges Licht mit Blitzesleuchten vom offenen Himmel hernieder. Nun erschloss sich mir plötzlich der Sinn der Schriften, des Psalters, des Evangeliums und der übrigen katholischen Bücher.« Die »Stimme vom Himmel« habe verlangt, dies öffentlich kundzutun. Sie habe sich zunächst geweigert – »bis Gottes Geißel mich auf das Krankenlager warf. Da endlich legte ich, bezwungen durch die vielen Leiden, Hand ans Schreiben«.

    Während der anstrengenden Arbeit am ersten ihrer drei großen Bücher, dem »Scivias« (»Wisse die Wege«), sandte sie Briefe in alle Welt. Der erste ging an den einflussreichen Abt Bernhard von Clairvaux, den Mann, der die Fürsten zu Kreuzzügen aufrief. »Ich, erbärmlich und mehr als erbärmlich in meinem Sein als Frau, schaute große Wunderdinge«, eröffnet sie Bernhard und fragt ihn, »was dünkt dich von alledem?« Dabei vergisst sie nicht, dem großen Kollegen zu beteuern, dass sie auch ihn schon in ihren Visionen »schaute«: »Du bist der Adler, der in die Sonne blickt.«
    Der derart Geschmeichelte bestätigt ihr, ihre Visionen seien eine »Gnade Gottes«. Nur ein halbes Jahr später, im Winter 1147/48, lädt Papst Eugen III., ein Bernhard-Schüler, zur Synode nach Trier, und das Who’s Who der Kirchenwelt strömt an die Mosel.
    Der Abt von Disibodenberg lässt das halbfertige Erstlingswerk seiner klösterlichen Tochter in Trier vorlegen. Das – gut eingefädelte – Wunder geschieht: Der unter Bernhards Einfluss stehende Papst erteilt dem Werk seinen Segen. Alles, was die Jungfrau Hildegard schaue, so der Pontifex, solle sie aufschreiben.
    Das verschaffte ihr eine Ausnahmestellung. Denn Frauen in der Kirche war es verboten, öffentlich zu reden. Sie äußerten sich allenfalls als Mystikerinnen, die in naiver Verzückung den Heiland erblickten. Hildegards Werk hob sich von derlei Schwärmereien deutlich ab. Die Äbtissin, mutmaßt der Forscher Peter Dronke, habe Sibylle, einer Prophetin der Antike, nachgeeifert, damals eine beliebte Legendenfigur. Die Mächtigen Roms, so die Überlieferung, hätten die schöne Hellseherin in die Stadt geholt, damit diese ihnen ihre Träume deute. Auch zu Hildegard drängten sich bald die Großen ihrer Zeit und baten um Rat. Als »prophetissa teutonica« verehrten sie die Zeitgenossen.

    Sie selbst beteuerte, ihre »Gesichte« wach und nicht im Zustand mystischer Ekstase zu sehen. Schon als Dreijährige will Hildegard merkwürdige Dinge am helllichten Tag erblickt haben. »Als ich davon erschöpft war, versuchte ich von meiner Amme zu erfahren, ob sie, abgesehen von äußeren Dingen, irgendetwas sehe. Und sie erwiderte: ›Nichts.‹ Da ward ich von großer Furcht ergriffen…«
    Die frühe Erfahrung hat die Nonne in ihrer »Vita Sanctae Hildegardis« festgehalten. Die Vita ist die erste »Autohagiografie« des Mittelalters, so die US-Historikerin Barbara New-man; ein Lebenslauf zur Heiligsprechung, den sich die Kandidatin selbst schrieb, unterstützt von zwei Co-Autoren, die leider vor ihr starben. Denn erst postum wurde Hildegards Vita von einem Mönch fertiggestellt, der sie
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