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Die Staufer und ihre Zeit

Die Staufer und ihre Zeit

Titel: Die Staufer und ihre Zeit
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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ist die Sache klar: »Der Himmel« fordert einen Rachefeldzug. Doch Gyburg, seine Frau, mahnt das Christenheer zur Besonnenheit. Sie, eine spät getaufte frühere Muslimin, hatte ihren jetzigen Ehemann kennen- und lieben gelernt, als sie noch unter dem Namen »Arabel« Königin war, während er als Häftling in »Arabi« festsaß. Nun gibt sie zu bedenken: Auch Ungläubige sind »gotes hantgetât«, Geschöpfe des Herrn. Überhaupt: »Wir wâren doch alle heidnisch ê«, bevor Christus erschien – weshalb sollte man da Menschen nur ihres Glaubens wegen umbringen?
    Bibelfest und sprachgewandt appelliert die gewesene Heidin an das Gewissen der Krieger. So hatte im deutschen Mittelalter zuvor noch keine Frau die Stimme erheben dürfen. Es scheint fast, als habe Wolfram in Gyburgs Rede gleich zwei Denkmuster seiner Zuhörer, Geschlechterrollen und Glaubensgewissheit, auf die Probe stellen wollen.

    Sein Porträt der islamischen Denkwelt bleibt zwar recht dürftig: Er unterstellt den Muslimen Vielgötterei, »Mahumet« und »Mecka« bleiben Gruselnamen, und dass das Christentum letztlich die Wahrheit auf seiner Seite hat, zeigen gleich die erzfrommen Gebetsverse am Anfang des »Willehalm«. Aber schon die geringste Barmherzigkeit gegenüber Heiden war in Zeiten der Kreuzzüge ein heiß diskutiertes, hochpolitisches Thema. Obendrein zeichnet Wolfram den König von Frankreich und seine Großen als dubiose Sippschaft, die nicht einmal vor Freundesverrat zurückschreckt: Auf christlicher Seite liegt vieles im Argen.
    In der düsteren, mit jeder Art von Waffen und ekelhaftem »mort« (so Wolfram anklagend) gespickten Romanhandlung behält nur einer ein paar Lacher auf seiner Seite. Es ist ausgerechnet ein bärenstarker Heide, der für die Christen kämpft: Rennewart, als Kind an den französischen Hof verkauft und nun vom Küchenburschen zum Goliath aufgestiegen, kann mit seiner Eisenstange reihenweise Gegner erledigen. Mit dem Charme des Ungeschlachten poltert er durch die Erzählung; in der Entscheidungsschlacht führt sein Einsatz letztlich zum Sieg. Dann jedoch ist der nützliche Killer-Koloss plötzlich verschwunden.
    Hat es Rennewart im Getümmel wirklich erwischt? Ist auf dem Schlachtfeld, wo dann doch wieder Heiden »wie Vieh« erschlagen wurden, auch der eigentliche Star der Geschichte umgekommen? Ist er in Gefangenschaft geraten? Die Antwort fehlt; das Opus blieb unvollendet. Aber noch um die Mitte des 13. Jahrhunderts hat ein gewisser Ulrich von Türheim eine ausufernde Fortsetzung verfasst. Joachim Bumke, Doyen unter den deutschen Wolfram-Experten, hält es sogar für möglich, dass sie »im Auftrag des staufischen Hofes« entstanden ist.
    Große Literatur allerdings scheinen die Auftraggeber dieses »Rennewart« kaum verlangt zu haben. Sicher, die mehr
als 36 000 Verse plätschern flott dahin. Wolframs bohrende Fragen aber hat der Fortsetzer um 1250 weitgehend ignoriert. Rennewart taucht natürlich wohlbehalten wieder auf, lässt sich taufen und heiratet seine Jugendliebe Alise; er bekommt einen Sohn, der noch größer und stärker wird als er selbst. Nach viel Action mit rekordverdächtigen Abwehrkämpfen gegen die Heiden stirbt er fromm im Kloster, wie auch sein früherer Dienstherr Willehalm.
    Friede, Freude und christlicher Eierkuchen: So simpel wäre bei Wolfram die Sache gewiss nicht ausgegangen. Er, den schon sein großer Herausgeber Karl Lachmann »einen der größten Dichter« überhaupt nannte, hätte wohl einen weitaus kniffligeren, provozierenderen, auf jeden Fall irgendwie zweideutigen Schluss ersonnen. Aber geniale Dickschädel wie er sind eben selten, zur Stauferzeit nicht anders als heute.

» POSAUNE GOTTES «
    Die Benediktinerin Hildegard von Bingen wird bis heute als große Heilkundige verehrt. Sie selbst empfand sich als Seherin – und mischte sich auch in die kaiserliche Politik ein.
    Von Annette Bruhns
    Sogar feuchte Träume kannte die ehrwürdige Kirchenfrau. Es widerfahre »dem Menschen im Schlaf ohne jedes Traumspiel rein aus der Natur heraus«. Auch »bei leichtsinnigen Gedankenspielereien« könnten junge Männer Samen »aus sich herausschwitzen«. Mädchen würden bei »schlüpfrigen Phantasien« ab dem zwölften Lebensjahr den »Schaum der Wollust« auswerfen. Abklingen würde die »Glut der Begierde« bei beiden Geschlechtern dann im gleichen Alter: mit etwa 70 Jahren.
    Die Beschreibung von Sexualität in den Schriften der Äbtissin Hildegard von Bingen ist für ihre Zeit
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