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Die Staufer und ihre Zeit

Die Staufer und ihre Zeit

Titel: Die Staufer und ihre Zeit
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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vergessen? Die Hörer dieser Szene interessierte das brennend. Natürlich konnte man nie so elegant und tapfer sein wie die Ritter des Versromans, der da vorgetragen wurde, oder als Frau so nobel und schön wie die vielen bezaubernden Damen der Erzählung. Aber irgendwohin musste Parzival, dieser
unreife Wüterich mit schwersten seelischen Defekten, es ja wohl bringen.
    Tatsächlich ist der Titelheld am Ende seiner langen Abenteuerreise derart verwandelt, dass der Dichter Wolfram von Eschenbach es seinem Publikum nur behutsam erklären mag. Jede Menge seltsame Begegnungen, Orakelsprüche und heikle Kämpfe hat Parzival hinter sich. Am Schluss der über 24 800 Verse ist der ehemalige Naturbursche und Nachwuchsritter dann Gralskönig: Hüter eines Heiligtums, dessen überirdischer Glanz beinahe dem christlichen Erlösungswunder gleichkommt.
    Zugegeben, Wolfram hatte erzählerische Vorbilder. Urheber der Geschichte vom reinen Toren Parzival war Chrétien de Troyes, dessen Epen über die Artusritter seit den Jahren um 1170 Frankreichs Fürstenhöfe faszinierten. Immer wieder hatte Chrétien mutige Helden aus dem keltischen Sagenkreis in Kampf und Liebe reifen lassen; über dem Versuch, dieses Erzählmodell mit der rätselhaften Mär vom gottgeweihten Gral und dem Ritterorden um ihn zu verbinden, war er gestorben.
    Aus Chrétiens dunklem Fragment machte Wolfram seit etwa 1202 etwas überwältigend Neues. Niemand hat ihm seine Behauptung abgenommen, er sei bloß ein derber Krieger, ja beherrsche keinen »buochstap«, Schrift und Lesen seien ihm fremd.
    Die Flunkerei verrät sich schon daran, wie er lustvoll mit französischen Wörtern und Namen spielt. Aus Beaurepaire, der »schönen Zuflucht«, wird die Stadt Pelrapeire, die seltsam höhnische Minnedame Orgueilleuse nennt sich »Orgeluse«. Fast 3400 Verse lang tritt erst einmal Parzivals Vater Gahmuret aus Anjou auf, der im heidnischen Orient die schwarze Königin Belakane heiratet. Schon nach drei Monaten aber stiehlt er sich davon. Bald darauf gewinnt er als Turniersieger
eine zweite Gattin mit dem sprechenden Namen Herzeloyde – sie ist, wie von ungefähr, Schwester des Gralskönigs Anfortas.
    Zum glorreichen Finale seiner Abenteuer trifft Parzival dann auf einen Recken, den er auch nach tagelangem Kampf nicht besiegen kann. Zum Glück kommen die beiden ins Gespräch: Da entpuppt sich der Gegner als Parzivals orientalischer Halbbruder. Feirefiz, Belakanes Sohn, ist schwarzweiß gescheckt wie ein Schachbrett, er ist märchenhaft reich, aber natürlich kein Christ. Dennoch erobert er bald die bildhübsche Gralsdienerin Repanse de Schoye wie im Zeitraffer. »Alles, was hilft, dass ich das Mädchen kriege, soll geschehen«, ruft der karierte Muskelprotz ungeduldig und lässt sich vor der Hochzeit noch schnell taufen – Völkerverständigung im Hauruckverfahren.
    Feine Ironie, Witz und Spannung, exotische Akteure, dazu die neuesten Modewörter und Hofsitten: Kein Erzähltrick scheint Wolfram von Eschenbach fremd. Neckische Einwürfe und auch ein bisschen Kollegenschelte machen das gewaltige Ritterpanorama amüsant. Dennoch sind alle Einzelheiten sorgsam abgeglichen. Ein Netz von Verwandtschaften, für den Adel des Hochmittelalters das A und O des Daseins, kettet die zahllosen Figuren des Epos aneinander, wiewohl sie oft nichts davon ahnen. Neben dem sehr Menschlichen, ja Deftigen und Grotesken bleibt so immer ein Rest von Geheimnis.
    Dass irdisches Begehren und christliches Seelenheil kollidieren können, dieses unlösbare Problem konzentrierte Wolframs Dichterkollege Gottfried von Straßburg, wiederum nach französischen Vorlagen, um dieselbe Zeit in seinem »Tristan« zur grandiosen Philosophie erotischer Tragik. Aber Wolfram reichte das noch nicht. Sippenrecht, Liebesglück, Rittertugend und der Segen des Himmels mussten irgendwie in Einklang zu bringen sein, und das, obwohl ein Christ sich nie ganz frei von Sünde fühlen darf.

    Der Knappe hält das Pferd, sein Herr ist bereit zum Turnier. So, als prächtig ausstaffierter Ritter, ist Wolfram von Eschenbach in der Großen Heidelberger Liederhandschrift (um 1310 bis 1340) dargestellt. Über sein Leben ist kaum etwas bekannt. Geboren zwischen 1160 und 1180, stammt er vermutlich aus dem fränkischen Ort Eschenbach bei Ansbach. Neben dem »Parzival« schrieb er weitere Reim-Epen und Lieder.
    Es ging also im »Parzival« letztlich um nichts Geringeres als die Grundüberzeugungen des staufischen Zeitalters – aber so
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