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Die Staufer und ihre Zeit

Die Staufer und ihre Zeit

Titel: Die Staufer und ihre Zeit
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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handfest und zugleich symbolisch, dass jeder Zuhörer sich angesprochen fühlte. War der blutjunge, draufgängerische Parzival nicht schon ein Unhold geworden, als er seine Mutter verließ, die gleich darauf vor Kummer starb? Hatte er nicht spätestens mit der Tötung des »Roten Ritters« Ither, seines Verwandten, unsühnbare Schuld auf sich geladen?
    Auch heute, nach über 150 Jahren Fachdiskussion, wissen die Experten darauf keine bündigen Antworten, so geschickt hat Wolfram das Heikle mit dem Sonderbaren verknüpft. Wer seinerzeit von den Abenteuern des jungen Mannes hörte, dem muss es ähnlich ergangen sein: Keiner hätte die vielen dunklen Andeutungen mühelos durchschauen können. Aber heißt es nicht schon in den ersten Versen, dass der Mensch letztlich nie dem Zweifel entrinnt? »Elsternfarbig«, zwischen Gut und Böse, Himmel und Hölle hin- und hergerissen, bleibt er auf Gottes unberechenbare Gnade angewiesen.
    Das kann fatal danebengehen. Parzival ist seinem Ziel schon denkbar nahe, als er auf einer prachtvollen Burg einem König gegenübersteht, der an einer schwärenden Wunde leidet. Er sieht eine blutende Lanze, dann ein seltsames, wundertätiges Ding namens »Gral«, das man in feierlicher Prozession hereinträgt. Doch er begreift überhaupt nichts.
    Aus falsch verstandener ritterlicher »Zucht« bleibt er stumm, ja er erkundigt sich nicht einmal, weshalb der Gralsherrscher so jämmerlich dahinsiecht. Das ist ein schwerer Fehler: Eine einzige Frage (»Waz wirret dier?«), und der Fluch hätte ein Ende gehabt. Als der Held das erfährt, ist es zu spät. Parzival gerät in Wut, er ist verzweifelt; schließlich flucht er sogar auf Gott selbst.

    Lange bleibt der Titelheld dann im Schatten des Geschehens; Wolfram erzählt indessen lieber heitere Bravourtaten des Musterritters Gawan – zum Beispiel, wie er für die süße kleine Obilot aus Spaß den tapferen Minneritter spielt.
    Parzival dagegen lernt unter Mühen, was es mit dem Gral-Stein auf sich hat, der Speise spendet, seine Ritter jung erhält und himmlische Botschaften verkündet. Erst nach vielen tausend Versen findet der Titelheld doch noch zurück auf die Burg Munsalvaesche, stellt die alles entscheidende Mitleidsfrage und erlöst damit den Gralsritter-Orden, dessen neuer König er bald sein wird.
    Ja, die Sache geht doch noch gut aus. Umso mehr werden die Zuhörer anhand der Gral-Story ins Grübeln geraten sein. Ritterkampf um Heiligtümer und Reliquien wie die heilige Lanze von der Kreuzigung Christi, mönchische Askese und überirdische Weihen: Das entsprach ziemlich gut dem Ideal der Kreuzfahrer-Orden. Doch durfte man sich von solcher Lebensform wirklich etwas erhoffen? Jagten die vielen christlichen Streiter nicht letztlich einem Ziel nach, das sich auf Erden nie erreichen ließ?
    Man kann das Werk natürlich auch anders verstehen. Richard Wagners letztes Musikdrama »Parsifal« (1882) machte aus dem Stoff ein Mysterienspiel mit christlichen Heilssymbolen: Der »reine Tor« reift durch symbolische Prüfungen, vor allem im Kampf gegen den bösen Zauberer Klingsor, zum irdischen Erlöser.
    Zu staufischer Zeit dagegen bot der gewaltige Erzählteppich von Wolframs Epos eine Menge aktueller Bezüge. Familienpflichten, Ehre und Treue als Fundament adligen Lebens, das noble und doch heikle Spiel der Minne, sogar letzte Fragen um Sünde und Erlösung nahmen Gestalt an. Kein Wunder, dass der »Parzival« rasch eines der begehrtesten, wieder und wieder abgeschriebenen Literaturwerke war.

    Schon dieses Weltgedicht allein hätte Wolfram zum wichtigsten Erzähler des deutschen Mittelalters gemacht. Doch der hintersinnige Franke hat noch einiges andere gedichtet. Neun Lieder entfalten in nahezu verwegenen Sprachbildern das höfische Minnespiel. Zwei »Titurel« genannte Fragmente, diesmal in komplizierten Reimstrophen, spinnen die im »Parzival« umrissene Geschichte der Gralssippe weiter aus. Und dann ist da der »Willehalm«.
    Auch die Geschichte um den bedrängten Herrscher von Orange stellt Rittermut, höfischen Glanz und Frauenehre so abwechslungsreich wie möglich dar, auch sie ist französischen Ursprungs. Doch wieder rückt Wolfram ins Zentrum des nicht ganz vollendeten Werkes aus knapp 14 000 Versen ein ernstes, hochaktuelles Problem: Wie sollten Christen mit ihren muslimischen Kriegsgegnern umgehen?
    Für Willehalm und seine Leute, die anfangs auf dem Feld von Alischanz im Süden Frankreichs einer übermächtigen Heidentruppe unterliegen,
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