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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt
Autoren: Jürgen Schreiber
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nicht erfuhren, dass sie tatsächlich wie in einem unter Dampf gehaltenen Industriemuseum lebten. Ruß-Land DDR.
    Indem er sich, unausgesprochen, zu einem Betrogenen stilisiert, schönt er das eigene Bild vor der Geschichte. Er will nicht als alleiniger Sündenbock in den Annalen stehen. Gleichwohl: Ehe ihn das Volk ’89 seiner Lebensidee beraubte, glaubte er an die »Überlegenheit des Sozialismus« ohne Wenn und Aber. Mit raumtönender Stimme, im Klang sofort metallisch, verwahrt er sich gegen allzu pauschale Wessi-Urteile. »Wer uns Ideale absprechen will, hat von vierzig Jahren DDR nichts verstanden.« So spricht der Überzeugungstäter. Für DDR-Maßstäbe alles in allem ein angesehener Politiker: wohlbeleibt, silberhaarig, zuverlässig. Kein Bonze, dieser Reichelt, vielmehr auf die Menschen zugehend, Pförtnern die Hand schüttelnd, mit Traktoristen Bier trinkend, das er gar nicht mochte.
    Seine sich an kein Protokoll haltende Leutseligkeit lenkte lange von der Tatsache ab, dass er einem Potemkinschen Umweltministerium vorstand. Von 250 Mitarbeitern (75 Prozent SED-Genossen) arbeiten über zweihundert für die Wasserwirtschaft. Keine fünfzig sorgten sich um die Ökologie. Überdies führte das ZK den Bauernfunktionär so kurz an der Leine, dass selbst der dort zuständige Abteilungsleiter Dr. Horst Wambutt mehr Einfluss hatte. »Es ging nischte, nix, ohne Abteilungsleiter«, grummelt Reichelt.
    Insider erinnern an die von ihm eigenhändig verfassten, vertraulichen »Sachberichte« für den »Genossen Generalsekretär«, so streng vertraulich, dass er sie auf Bögen ohne Ministeriumskopf schrieb. Regelmäßig malte Honecker sein »E. H.« unter die Brandbriefe, was als »einverstanden« zu lesen war. Danach schmorten die Vorlagen im ZK, wenn sie in Mittags Aktenimperium nicht ganz verschollen. Rituell begegnete der auf diesem Ohr taube Günter dem schnaubenden Einzelkämpfer mit der Standardfloskel: »Hans Reichelt, ich habe noch viel von dir auf dem Schreibtisch liegen.« Zum Beispiel eine Smog-Verordnung, die fünfmal angemahnt, sich trotzdem nie, wie Mittag das nannte, »einordnen ließ«.
    Auf dem langen Marsch durch die Aktendeckel blieb 1987 auch Reichelts Buch
Umweltpolitik und ökonomische Strategie
stecken. Das im Bad Liebensteiner Kururlaub mit Herzblut geschriebene Manuskript stand längst im Jahresprogramm des parteieigenen Dietz-Verlages. Achtzig Seiten für 3,80 DDR-Mark. Den gleichfalls avisierten Band
Sozialismus, Frieden, Umwelt, Ausgewählte Reden
fraß die Revolution.
    Solch üppig wuchernde Episoden aus dem real existierenden Ministeralltag leisten freilich dem Wunsch Vorschub, ihn, Reichelt, als tapferen Ritter darzustellen. Von trauriger Gestalt, zugegeben, weil er sich eindimensionaler Planerfüllung zu unterwerfen hatte, aber doch ehrlich von höherer Mission erfüllt. Insgeheim sieht er sich wohl selbst eher als tragischen Helden,»stolz und sehr engagiert« (was keiner bestreitet), dann verschlissen, zermürbt, ein gescheiterter Malocher. Denn die Verhältnisse, sie waren nicht so. Das milde Licht der Erinnerung verklärt die verfluchten Tatsachen der rücksichtslosen Umwelt-Ausbeutung, nimmt dem Versagen etwas Dramatik.
    Seine Vorwärtsverteidigung gleicht stückweit dem Versuch, das eigene Leben aus der Biographie zu tilgen. Zwischen Aufstieg und Fall funktionierte er wie geschmiert als Teil des geschlossenen Systems. In der Rolle des vertrauten, anerkannten Repräsentanten, irgendwie in seine staatskonformen Papiergesänge vernarrt: Reichelts Reden, zuweilen dumpfer noch als von der SED verlangt, wie es halt die Art der Blockpartei war. Wann wäre ihm je ein öffentlicher Seufzer über die skandalöse Umweltlage entschlüpft, wo sind Spuren des Zweifels überliefert? Nur gegenüber engsten Vertrauten ließ er hin und wieder die Maske der Gewissheit fallen, orakelte verklausulierte Rücktrittsgedanken. Alles Unbehagen blieb folgenlos, getreu der alten Überlebensformel eines jeden Machtbewussten: »Ich hätte es als Schande angesehen, aufzugeben. Klein beigeben passte nicht zu mir.«
    Mit der ihm nachgesagten Dickschädeligkeit, auch einem gerüttelten Maß »List und Tücke« (Reichelt), brachte der Minimalist seine Th emen wieder und wieder aufs Tapet, formulierte, schön intern, wegen ihrer »Deutlichkeit berüchtigte Berichte«. Vordergründig verteidigte er weiter die »Generallinie«, produzierte markige Ergebenheitsadressen mit dem Motto, seine Bauern würden sich »stets der
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