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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt
Autoren: Jürgen Schreiber
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ob der verdiente Kader zum belastbaren Zeugen taugt.
    Denn da gibt es inzwischen auch ein für die »Super-Illu« erstelltes wissenschaftliches Gutachten der Autoren Jochen Staadt undTobias Voigt mit dem Befund, »Das vorliegende MfS-Schrift gut … weist Frau Jenny Gröllmann eindeutig als Inoffizielle Mitarbeiterin des MfS aus«.
    Der erbitterte Rechtsstreit um die Akte »Jeanne« gewinnt durch Menges spektakuläre Aussage weiter an Schärfe. Geht es nach Gröllmanns Anwalt, muss Filmregisseur Florian Henckel von Donnersmarck bereits die Behauptung unterlassen, Frau Gröllmann sei »IM-Agentin der Stasi« gewesen. Der Suhrkamp Verlag musste im Buch zu seinem Film »Das Leben der Anderen« einschlägige Stellen schwärzen. Ihr Ex-Mann Ulrich Mühe darf nicht wiederholen, sie habe für die Stasi gespitzelt, was den einen oder anderen schon an DDR-Zensur erinnert. Trotz zweier Anfragen an ihren Anwalt war Frau Gröllmann für den »Tagesspiegel« nicht zu sprechen.
    Führungsoffizier Menge will sich nun »Das Leben der Anderen« ansehen. Es soll nicht zynisch klingen: »Ick seh den Ulrich Mühe heute noch jerne!« Er bittet, »schreiben Sie nicht so schlecht über mich«.

Der Mann, der zu viel wusste
    Ein Phantom aus der politischen Geisterwelt der DDR
     
     
    Hans Reichelt war von 1972 bis 1990 Umweltminister der DDR. In seine Zuständigkeit fielen die Schwefelschwaden der Braunkohlekraft werke, die Gift müllkippen von Bitterfeld und die strahlenden Halden von Wismut. Wie lebt der 67-Jährige mit seinen politischen Altlasten?
     
    Der Mann, der zu viel wusste, öffnet zögernd die Tür. Kantig, groß, unverwechselbar steht der frühere DDR-Umweltminister Dr. Hans Reichelt auf der Schwelle. Er trägt hellblaue Trainingshosen, Hausschlappen, ein buntes Kurzarmhemd. Nervös spielt der Aufgeschreckte mit der Lesebrille. Wie hat man ihn finden können? Auf dem Namensschild im ehemaligen Diplomatenblock der Ostberliner City steht immer noch der Name des japanischen Vormieters. 83 Nachbarn sichern zusätzlich den Schutz der Anonymität. Der Ex-Minister auf der Flucht vor der Wahrheit? Keine Rede davon, sagt der 67-Jährige später am Couchtisch der Dreiraumwohnung. »Ich verkrieche mich nicht, habe aber auch keinen Hang zur Öffentlichkeit.« An seiner alten Adresse, im Promi-Viertel am Reetzer Weg, hinterließ der stellvertretende Ministerpräsident nicht mehr als das Gerücht, irgendwo in Berlin abgetaucht zu sein. Sein letzter politischer Auftritt datiert vom 18. Januar 1990. Der Rückzug in das 14-stöckige Hochhaus wirkt wie ein Reflex auf das trostlose Tun seines Amtes.
    Honeckers Sozialismus hinterließ ein verwüstetes Land. Schwer wie der dialektische Materialismus lasteten pro Jahr 5,6 MillionenTonnen Schwefeldioxid und 2,1 Millionen Tonnen Staub auf dem Paradies der Werktätigen. Jenseits von Eden blieben dramatisch ruinierte Gewässer, 27 877 Altlast-Verdachtsflächen, zehntausend wilde Müllkippen, ferner Schreckensorte wie Bitterfeld oder Wismut und insgesamt eine um Jahre geringere Lebenserwartung für die Bürger. Und er, Hans Reichelt, unglücklicher Sachwalter der Umwelt von 9. März 1972 bis 9. Januar 1990, personifiziert die Absurdität einer gegen die eigenen Genossen gerichteten Politik.
    Wie Hammer und Zirkel gehörte der Vizechef der Demokratischen Bauernpartei Deutschland (DBD) zum gusseisernen Inventar der Republik. Eine kraft Statur unter all den tönernen, sozialistischen Helden buchstäblich herausragende Gestalt. Seit den fünfziger Jahren auf Gruppenbildern der Wachsfigurenkabinette präsent. An Wuchs und Umfang Kanzler Helmut Kohl verwandt.
    Fast vierzig Jahre lang eine öffentliche Person, ohne dass über den Schlesier, gebürtig in Proskau, mehr verlautbart wurde, als dass er verheiratet sei, eine Tochter und zwei Söhne habe. Den Mangel an Information über den großen Unbekannten erhellt 1989 auch Reichelts Auftritt in der verkrampft en Fernsehreihe
Zu Gast bei
… nicht.
    Dann begeht in den Wendewirren seine Frau Helga Selbstmord. Früher Referentin am Institut für Marxismus-Leninismus, sei sie mit dem Neuen nicht zurechtgekommen, heißt es. Die Tragödie daheim im Reetzer Weg 18 gibt für den Moment den Blick frei auf Reichelts privates Lebensdrama. Bestürzend genug ist jetzt erst hinter dem braven Parteisoldaten – bisher bloß ein flüchtiges Phantom aus der politischen Geisterwelt des Ostens – der widersprüchliche Mensch Hans Reichelt zu ahnen. Zuvor, wie es schien, ein Mann
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