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Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
Autoren: Jochen Hellbeck
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zerstört, und einige Menschen haben wir verloren. Dann gab es bis zum Juli keine massierten Luftangriffe auf die Stadt, doch es gab einzelne kleinere Angriffe auf Krasnoarmejsk. Gewöhnlich spielte es sich so ab, dass selten Bomben fielen, wenn Alarm gegeben wurde. Meistens wurden Bomben geworfen, wenn kein Alarm gegeben wurde. Da Anflüge der feindlichen Luftwaffe häufig vorkamen, einigten wir uns darauf, beim Anflug einzelner Flugzeuge keinen Alarm zu geben, denn sonst würde die ganze Stadt in Unruhe gehalten, die Werke, Fabriken, welchen Schaden kann man da anrichten! Fabriken und Werke müssten stillstehen! Deshalb sagte man sich, wenn kein Alarm gegeben wird, hat man seine Ruhe. Sonderbar, aber so war das Leben.
    So ging es im Wesentlichen bis zum 23. August, als die Belagerung der Stadt begann. Ein sonniger Tag, alles in bester Ordnung, die Stadt pulsiert vor Leben, die Fabriken laufen auf vollen Touren. Übrigens muss erwähnt werden, dass wir die Stadt nicht evakuiert hatten; obwohl die Front sich dem Don näherte und im Süden schon näher war als Abganerowo, wurde die Stadt nicht evakuiert. Und erst etwa zwei Wochen vor der unmittelbaren Belagerung der Stadt schickten wir einige zehntausend Frauen weg, die Kinder hatten und nicht in den Fabriken arbeiteten. Wer arbeitete, wurde nicht weggelassen, mit wenigen Ausnahmen. Die Stadt stand parat. Alle Betriebe und Behörden liefen auf vollen Touren.
    Und dann der 23. August. Der 23. August war ein Sonntag. Weil Sonn- und Feiertage nicht eingehalten wurden, waren alle auf der Arbeit. Ein schöner Tag war das. Es fiel auf, dass der Gegner den ganzen Tag Punkte nordwestlich von Stalingrad bombardierte, angefangen mit Pantschin, dem Don, Ilowlja, dann die Ausweichstelle Konny, Gorodischtsche und erneut von oben herunter. Er bombardierte diese Punkte von morgens an. Wir maßen dem keine besondere Bedeutung bei und achteten nicht weiter darauf.
    Ich fuhr gegen zwölf Uhr mit meinem Stellvertreter Lebedew vor die Stadt, um zu schauen, wie die Umgehungswege gebaut wurden. […] Drei Stunden vergingen, während wir fuhren. In der Zeit gab es Luftalarm. Die gegnerische Luftwaffe flog nah an die Stadt heran, bombardierte sie jedoch nicht. Sie begann, Orlowka [332]   zu bombardieren, hinter dem Bezirk Traktorenwerk. Die Stimmung war so, dass man dachte, aha, wenn sie Alarm geben, wird nicht bombardiert.
    Diese Stimmung übertrug sich auch auf uns. Wir beschlossen, trotz des Alarms nicht gleich zum Gefechtsstand zu gehen, sondern einmal zu schauen, was bei Alarm in der Stadt passiert. Wenn man im GS sitzt, sieht man nicht alles, man kann nur den Meldungen nach urteilen, aber so sehen wir mit eigenen Augen, was los ist. Ungefähr eine Stunde lang fuhren wir während des Alarms durch die Stadt. Dann fuhren wir zum GS. Ich nahm meinen Platz ein, den des Luftschutzchefs, mein Stellvertreter ebenfalls. Das sind lauter erprobte Leute dort. Wir nahmen unsere Plätze ein und saßen da. In der Stadt war es mehr oder weniger ruhig. Die Stadt wurde nicht bombardiert. Ich setzte mich mit den Luftschutzpunkten in Verbindung. Die Verbindung war nicht besonders gut. Ich beschloss, sie aufzusuchen. Der Alarm dauerte zwei Stunden. Es war schon gegen fünf Uhr abends, an diesem 23. August.
    Denissowa (Parteisekretärin des Jerman-Bezirks): Das war ein Luftangriff, wie es noch nie einen gegeben hatte. Man hatte buchstäblich den Eindruck, der ganze Himmel wäre bedeckt mit Flugzeugen. Es schien, als gäbe es kein Fleckchen, wo keine Bombe fiel. Das Bombardement begann um fünf oder um sechs Uhr. Bei uns geriet zuerst die Fabrik Nr. 687 in Brand, die Vollreifenfabrik. Sie war gerade erst fertiggebaut worden und hatte noch nicht mit der Produktion begonnen. Am selben Abend geriet ein Teil der Häuser und Behörden in Brand, die Bauvereinigung brannte, das Eisenbahndepot, und zur Wolga hinüber brannten Gebäude. Ich saß am Telefon, weil mir nicht gestattet war, hinauszugehen. Ich durfte nicht einmal zum Luftschutz-GS gehen. Man sagte mir, ich solle die entstandenen Schäden im Stadtkomitee der Partei melden. Ich weiß das alles noch wie heute. Ein wenig Angst hatte ich ja. Es wurde durchgegeben: »Der Alarm besteht weiter. Der Alarm besteht weiter.« Der Alarm wurde nicht aufgehoben, also war weiter Alarm.

Bewohner der Stadt flüchten vor den Bombenangriffen, August 1942. Fotograf: E. Jewserichin
    Joffe (Direktor, Medizinisches Institut): Die Evakuierung [des Medizinischen
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