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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Autoren: Mirko Kovac
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angezogen, um mich auf diese Weise zu schützen. In der Hand hielt ich eine Kerze. Man hatte mir gesagt, dass Hexen das Kerzenlicht fürchten. Ich hatte Streichhölzer und Knoblauch in meine Tasche gesteckt, es hieß, diese wehrten die Schlangen ab. Wir schreckten bei jedem Geräusch auf, waren froh, als wir endlich das gefährliche Stück Weg hinter uns gelassen hatten. Wir atmeten durch und setzten uns auf einen Stein. Der ältere Cousin sagte, wir müssten uns die Schuhe ausziehen, um uns die Füße abzukühlen, möglicherweise auch ein wenig trocknen lassen, falls sie verschwitzt wären. Das sei die wichtigste Regel für einen erfolggekrönten Rückweg, da dieser noch gefährlicher als der Hinweg sei und die Schlangen uns auch längst gerochen hätten. Naiv wie ich war, glaubte ich ihm und zog meine Schuhe aus, ohne darauf zu achten, ob die anderen beiden dies auch taten. Sie legten mich rein, schnappten rasch nach meinem Schuhwerk und rannten davon. Ich fing an, um Hilfe zu rufen, aber sie waren längst nicht mehr zu sehen. Sie hatten mich einfach allein gelassen.
    Ich stand auf dem Stein und zitterte, war erstarrt vor Angst und fürchtete mich vor meiner eigenen Stimme. Ich traute mich nicht einmal mehr, um Hilfe zu rufen. Bald schon kam die Abenddämmerung auf, und im Wald wurde es schlagartig dunkel. Ich versuchte, die Kerze anzuzünden, aber es wollte mir nicht gelingen. Die Knoblauchzehen zerkleinerte ich mit einem Stein und rieb damit meine Fußsohlen ein. Ich stieg vom Stein herab und stellte mich auf den Pfad. Meine Knie schlotterten und es überraschte mich heftiger Schüttelfrost. Ab und an war in der Ferne ein Geräusch zu hören. Eidechsen brachten sich in einem Gebüsch in Sicherheit, eine von ihnen jagte mir einen nachhaltigen Schrecken ein, weil sie plötzlich neben mir in die Höhe sprang. In diesem Augenblick überkam mich das Gefühl, jemand nähere sich mir hinterrücks, ich wagte aber nicht, mich umzudrehen, sondern rannte in diesem Augenblick so schnell ich nur konnte los. Erst als ich mich in Sicherheit wähnte, legte ich mich auf die Erde, um zur Ruhe zu kommen. Meine Füße bluteten. Noch Tage danach pflegte und versorgte ich sie. Meine Verwandten hatten kein Mitleid mit mir. Alle sagten, dass diese Begebenheit unausweichlich für mich gewesen sei, es hieß, dass ich es erleben musste.

3
     
    Als mein Vater fünfzehn Jahre alt war, fing es an. Auch ihm blieben Verstörungen nicht erspart, denn er hatte sich zu weit in den Wald vorgewagt. Mit Kreuzhacke und einem Soldatenspaten in der Hand ging er auf Schatzsuche. Zuvor hatte er immer wieder einen 1906 erschienenen Text aus der Zeitschrift »Die heimische Feuerstätte« gelesen, in dem stand, dass die Griechen einst aus dieser Gegend vor der Pest geflüchtet waren. Als reiche Handelsleute besaßen sie viele Schätze, die sie auf der Flucht in ihren Gräbern verstecken mussten. Auf Segelbooten wie Trabakeln und Brazzeras verließen sie ihre Wohnorte an der Küste, darunter waren Cavtat oder Gruža. Auf der kleinen Landkarte, die Vaters Zeitschrift beilag, waren all jene Orte markiert, an denen man die Schätze der Griechen vermutete. Einer dieser Orte war unser wilder und unzugänglicher Hain oberhalb von L., hier, so hieß es, seien jede Menge Goldklumpen vergraben worden, und wer die absickernden Griechengräber finde, werde unvorstellbar reich werden. Mein Vater, der noch ein bartloser junger Mann war, sagte selbstsicher zu seiner Mutter Vukava, ein Engel werde ihn zu diesem Grab bringen, es versickere natürlich nur deshalb, weil man dort das viele Gold vergraben hatte. Und meiner Großmutter fiel nichts Besseres ein als ihm zu sagen, er brauche ohne das Gold erst gar nicht wieder nach Hause zu kommen.
    Es vergingen sechs Tage und von meinem Vater fehlte jede Spur. Großmutters Suche nach ihm verwandelte sich in eine Treibjagd nach Teufeln und Hexen. Die Jäger hatten sich mit Sensen, Äxten, Messern und Jagdgewehren bewaffnet. Während sie Äste abschnitten und sich Wege freischlugen, riefen sie laut nach den Teufeln und Hexen, als hätten sie den Jungen vergessen, drohten ihnen zähneknirschend, mit erhobenen Fäusten, so, wie das der Mob immer bei solchen und ähnlichen Gelegenheiten macht. Im Suchtrupp hatte jeder eine eigene Geschichte parat und erzählte von einer bösartigen Begegnung mit einer Hexe. Mein Vater wurde schließlich von Jagdhunden gefunden, die jemand mitgenommen hatte. Er lag im hohen Farnkraut, erschöpft und
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