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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Autoren: Mirko Kovac
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davon übrig, Großvaters Erbe ist in alle Windrichtungen zerstreut. Schon zu seinen Lebzeiten war seine Taschenuhr mit der Kette verschwunden. Ein Herz war darauf eingraviert, mit Pfeil und Datum und dem Namen Anna. Wir wussten, dass die Ehefrau von Mato Grbić Ane hieß. Sie war eine schöne und zarte Frau, die in den ersten sieben Jahren ihrer Ehe kinderlos blieb. In ihrer Geburtsurkunde muss man sie fälschlicherweise unter dem Namen Anna verzeichnet haben. Sie kam aus Zadar und sprach bis zur Hochzeit unsere Sprache nicht; sie konnte nur Italienisch. Als die Freundschaft der beiden Namensvetter begann, brachte diese zarte Person doch noch vier Kinder, drei Töchter und einen Sohn, zur Welt. Die Freundschaft der beiden Männer hielt lange, und es gingen noch mehrere Patenschaften aus ihr hervor, Hochzeits- und Taufpaten waren darunter. Den drei Töchtern von Anna und Mato Grbić sagte man nach, die schönsten der ganzen Gegend zu sein. Auch der Pfarrer hatte eine Meinung dazu und war sich darin sicher, dass sie die ganze Region mit ihrem Liebreiz schmückten. Er schrieb das selbstverständlich der Allmacht Gottes zu, der ja nichts anderes machte als Schönheit mit Schönheit zu belohnen. Und die Leute gingen sogar so weit und dachten, selbst die Schiffe von der Hohen See würden sie grüßen und die lauten Sirenen vom Meer aus das Haus der Grbićs besingen. Aber die beiden Mädchen waren alles andere als glücklich; schade, dass sie in diesem Buch nicht weiter vorkommen können, weil sie nicht mein Thema sind und ich sie deshalb nicht weiter einbinden kann.

5
     
    Das schöne Haus in Trebinje war zweistöckig. Es hatte ein schieferbedecktes Vordach und einen Holzerker. Das Treppenhaus war mit Intarsienarbeiten versehen und führte direkt in das obere Gemach, in dem einst ein Diwan gestanden hatte. Diesen Teil des Hauses nannte man noch immer Alis Tschardak, hier, auf der überdachten Veranda, ruhte man sich auf dem türkischen Sofa aus, trank Kaffee, plauderte und fasste all das kurz und bündig im Wort diwanisieren zusammen. Großvater hatte aber das eine oder andere islamisch anmutende Detail, wie den Holzrahmen mit dem verspielten Fenstergitter, gezielt vom Haus entfernt. Er ersetzte es durch ziseliertes Eisen und stellte auch alles andere im ersten Stock um. Auch die Weinreben, die den Diwanbereich eigentlich verschönert hatten, riss er einfach aus. Mein Großvater Mato ließ das Haus im Grundbuch auf den Namen seines Sohnes Blago eintragen. Es behielt aber bis in unsere Zeiten den türkischen Namen Tschardak.
    Ich verband mit diesem Wort etwas der Erde Fernes und durchweg Übernatürliches, stellte mir darunter ein schwebendes Haus oberhalb des Flusses vor und imaginierte ähnlich gigantisch geartete Türme der reichen und gewaltigen islamischen Welt. Als mein Großvater Alis Haus kaufte, erzählte man sich, Dr. Kesler, ein seit Jahren bei uns gern gesehener Gast, sei für ihn als Bürge eingesprungen. Zögernd soll er den schon tropfenden Füllfederhalter in der Hand gehalten und vor der Unterschrift noch zu ihm gesagt haben: »Mit dem Kauf von Alis Haus kaufst du nicht nur ein Gebäude, sondern auch alle Krankheiten, die hier erlebt worden sind. Diesem doppelten Handel entkommst du leider nicht.«
    Blago war das zweite Kind, ein Jahr jünger als mein Vater und der erste Mensch in unserer Familie, der gebildet war und einen Doktortitel trug. Er war jedoch noch Schüler, als ihm das Haus geschenkt und offiziell überschrieben wurde. Die Worte Dr. Keslers und die Unheimlichkeit, die von ihnen ausging, ließen ihn frösteln. »Das Haus ist reine Materie«, sagte er, »die Krankheiten das reine Unglück.«
    Vielleicht hatte er schon damals geahnt, dass er in diesem Haus niemals leben, ein Weiterverkauf sich aber immer lohnen würde. Mit einem satten Gewinn war in jedem Fall zu rechnen, das Haus befand sich in guter Lage, direkt im Zentrum des Ortes. Nach seinem Fortgehen hat Blago nur noch einmal von sich hören lassen. Irgendwann kam von ihm ein kurzer Brief in italienischer Sprache, darin hieß es, er studiere Medizin und könne sich kaum mehr daran erinnern, wie sein Heimatort aussehe. Irgendwann gab man das Warten auf, und im Laufe der dreißiger Jahre fiel dann sein Haus in Trebinje meinem Vater zu. Die Leute tuschelten aber hinter vorgehaltener Hand über ihn, es hieß, eine offizielle Übergabe habe nie stattgefunden, vielmehr seien Bestechungsgelder, falsche Papiere und falsche Unterschriften im
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